Da setzt man einmal auf den Klimawandel und freut sich Ende März auf frühsommerliche Temperaturen inmitten der blühenden Bananenhaine im Aller-Leine-Tal, da überrascht der Spaßkopp mit einer Kältewelle allererster Kajüte. Trotzdem steht auch in diesem Jahr die Aller-Hochwasser-Rallye als Saisonauftakt auf dem Programm. Während im letzten Jahr fast T-Shirt-Wetter war, sind diesmal für uns Trockenanzüge mit ordentlich Fleece drunter Pflicht.
Frühmorgens auf dem Weg zum Bustransfer zur Einsatzstelle erhöht das NDR2-Team die Laune mit der Information, dass dies der kälteste 23. März seit 1899 ist. Die 1000 kcal Müsli im Bauch grummeln. Die Stimmung im Bus steigt, als wir einen Schwarm Kraniche passieren, die auf den Feldern um Verden pausieren. An deren Stelle wäre ich ja im Süden geblieben. Muss aber jeder selber wissen.
Bei -3 Grad Lufttemperatur packen wir an der Einsatzstelle in Hodenhagen unsere Boote fertig. Immerhin gewinnt die Sonne zunehmend an Kraft. Der Wind kommt mit 5er Stärke aus Ost, was ziemlich ideal ist und meistens Rücken- oder leichten Seitenwind verspricht… würde sich die Aller nicht auch mal nach Osten schlängeln. Als die Boote nahezu fertig sind, gibt es eine Explosion direkt über unseren Köpfen. Ich fühle mich an unsere Neujahrstour erinnert und drohe in Ohnmacht zu fallen. Schnell wird aber klar, dass es sich nur um den Startschuss handelt – also in die Boote und los!
Catharina treibt schon rasant die Aller hinunter, als ich im Boot bin und ziemlich schnell einen Anfängerfehler bemerke. Beim letzten Hallentraining in der Woche zuvor hat offenbar jemand mit noch kürzeren Beinen meine Fußrasten verstellt. Schon nach der ersten Kurve ist das erste Bein eingeschlafen. Ich kündige also sofort an, dass wir bei nächster Gelegenheit wieder ranfahren müssen. Catharinas Vermutung einer schwachen Blase weise ich empört von mir. Also laufen wir das nächste Kehrwasser an, ich raus aus dem Boot, Fußstützen 10 cm nach vorn und völlig verdreckt wieder rein ins Boot. Zu diesem Zeitpunkt ist meine Spritzdecke bereits völlig vereist. Wer hat nochmal behauptet, Paddeln würde Spaß machen?
Jetzt aber wirklich los! 54 km liegen noch vor uns. Wo wir im letzten Jahr die ersten sprießenden Knospen bewundern durften, liegt jetzt noch Schnee. Das Wetter hat wohl so manchen abgeschreckt. Das Feld ist deutlich kleiner, aber immerhin noch dreihundert Mitstarter sollen es sein. Ziemlich respektabel! Wind und Strömung treiben uns jetzt mit guter Geschwindigkeit Richtung Verden. Nach zwei Stunden Paddelei durchs norddeutsche Flachland ist die erste Snackpause angesagt. Auf Aussteigen hat keiner von uns beiden Lust, da wir bei Temperatur und starkem Wind sicher schnell auskühlen würden – also wird auf dem Wasser gegessen, während uns die Strömung weitertreibt. Catharina hält sich an ihre gefrorenen Bananen, während für mich Schokoriegel und Wasser-Sorbet aus der Trinkblase auf der Menükarte stehen. Fun fact: ein Snickers hat im gefrorenen Zustand wohl genug Luftblasen, dass es mit kräftigen Bissen in viele Einzelteile zerfällt, während das günstigere Lidl-Generikum einen soliden Klumpen aus gefrorenem Süßzeug bildet, den man gewaltsam zertrümmern und dann lutschen muss.
Wie schon erwähnt fließt die Aller auf ihrem Weg nicht immer Richtung Nordwest, sondern auch mal direktemang nach Osten. Man erinnere sich: daher kommt der Wind mit Stärke fünf. Und wenn Wind auf gegenläufige Strömung trifft, gibt das Wellen. Hier wird das Feld plötzlich sehr viel dichter. Viele suchen ihr Heil am Flussrand. Allerdings ist dort die Strömung geringer und in den Kehrwassern sogar gegenläufig. Die Stunde der Seekajaks ist gekommen. Elegant tanzen sie auf den Wellen und nutzen dabei die Strömung wohl ideal aus. Ebenfalls als von Vorteil erweist sich hier mein Grönlandpaddel, was mir einige neidische Kommentare einbringt. Unter diesen Bedingungen bietet es tatsächlich nicht so viel Windangriffsfläche wie die Euro-Löffel. Leider war zu diesem Zeitpunkt der Auslöseknopf meiner Kamera eingefroren und ich hatte nicht so richtig Muße, mit meinen durch den Wind ebenfalls gefrorenen Händen weiter zu versuchen, die Knipse in Betrieb zu nehmen. Der ein oder andere schien sich dieses Stück ein wenig länger gewünscht zu haben. Eine Abstimmung hätte wohl das Gegenteil ergeben. Später hören wir, an dieser Stelle seien auch zwei Paddler gekentert und mussten aus dem Wasser gefischt werden.
Wir folgen weiter den Windungen der Aller, die nur noch einmal ein kurzes Stück nach Ost mit dem entsprechenden Wellengang für uns bereithalten. Bei Kilometer 40 legen wir einen kurzen Landgang ein, da mein Sitzfleisch nicht mehr die gewohnte Kondition aufweist. Mein Sitzkissen hatte ich – ganz Ehrenmann – verborgt. Wir laufen in einen kleinen Hafen ein, in dem wir auch im letzten Jahr kurz pausiert haben. Kurz die Beine vertreten und eine Kleinigkeit gegessen, legen wir auch schon wieder ab. Waren die Hände eben noch recht warm, kühlen sie beim Boote tragen völlig aus. Ich beleidige mehrfach meine völlig vereiste Spritzdecke, die sich mit den steifen Fingern nicht schließen lässt. Der Wind treibt uns immer wieder fast unter eine Steganlage für Motorboote. Statt mir weitere Schimpfwörter für Wetter und Bootszubehör auszudenken, suche ich mir einen sicheren Halt und wärme die Hände notdürftig zwischen meinen Beinen. Mit der wieder gewonnenen Flexibilität lässt sich auch die Spritzdecke schließen. Zügig paddeln wir weiter, um nicht weiter auszukühlen. Jetzt sind es noch knapp 15 Kilometer, die sich ein wenig ziehen, aber am Ende kommt das Vereinshaus des WSV Verden dann doch plötzlicher als gedacht. Das Läuten der Glocke wird dicht gefolgt von einem ehrlichen Korn und hilfsbereite Helfer tragen unsere Boote an Land. Trotz klirrender Kälte war das eine herrliche Tour und ein von den Verdener Paddlern gewohnt gut organisierter Start in die neue Saison.
Nachklapp: Auf der Internetseite der Verdener Kreiszeitung findet sich eine Bilderstrecke zur Veranstaltung. Die Bilder 7 bis 12 zeigen unsere Ankunft in Verden.