Paddeln, wo andere hin verbannt werden – Elba 2013

Elba in so kurzer Zeit zu umrunden, hatten wir eigentlich gar nicht geplant. Dass wir aus Zeitmangel nicht jeden der 145 Küstenkilometer und damit jede noch so kleine Bucht abfahren, war uns von Anfang an bewusst. In Reaktion auf die Wetterprognosen haben wir die knapp 90 km dann sogar in drei Tagen gepaddelt.

Los geht es in Acquaviva bei Portoferraio. Hier sind wir gestern, nach der Überfahrt aus Richtung Venedig, in einem Campingplatz untergekommen. Man spricht deutsch so wie die meisten der Campinggäste. Im Restaurant gab es hervorragende Küche und das Auto kann die Woche über hier bleiben. Verkehrt ist das alles nicht.

Da die Winde im Laufe der Woche zunehmen und auf West drehen sollen, wollen wir die Westseite der Insel mit weniger Anlandemöglichkeiten lieber hinter uns haben und starten unsere Tour gegen den Uhrzeigersinn.

Der Monte Capanne ist wolkenverhangen. Er und der Rest der Insel präsentieren sich idyllisch und das Wasser ist glasklar. In der letzten Wochen hat es auch hier ordentlich geweht. Davon merkt man heute nichts. Als wir das Nordost-Kapp erreichen, fallen uns immer häufiger kleine blaue Gegenstände auf, die im Meer schwimmen. Was ich erst für Müll halte, entpuppt sich schließlich als… ja was eigentlich. Bei näherer Betrachtung wirken sie wie Quallen, die sich mit einem Segel haben ausrüsten lassen – tatsächlich sind es Segelquallen. Man trifft sie rund Elba wohl nicht so häufig an. Die starken Winde der letzen Woche haben sie aber offensichtlich hierherverschlagen. Sie kommen in immer dichteren Schwärmen, sodass die Sorge aufkommt, links um die Ecke versteckt sich das Mutterschiff und saugt schließlich uns auf.

Im Vorfeld haben wir uns einen Strandführer besorgt, der jeden der gut 150 Strände Elbas in Bezug auf Zugänglichkeit und Beschaffenheit beschreibt. Teilweise fällt die etwas sehr positiv aus, ist aber jedenfalls ein guter Anhaltspunkt. Als Strand werden auch so ziemlich alle Unterbrechungen der Steilküste gewertet. So peilen wir den zuvor ausgewählten Strand Le Tombe an. Dort erwischt uns ein Schauer. Die im Strandführer versprochene Abendsonne bleibt aus. Dafür entschädigen wir uns selbst mit einem Lagerfeuer aus Treibholz und genießen den Blick auf’s Meer hinaus, wo eigentlich Korsika liegen sollte.

Am nächsten Morgen sind tatsächlich die Konturen Korsikas deutlich zu erkennen. Die Gipfel der Berge sind noch schneebedeckt. An diesem Tag lernen wir, wie anfällig Skegs sein können. Erster Kandidat ist Christoph, der sein Skeg-Steuer schon nach wenigen Kilometern wieder gangbar machen muss, bevor eine Grotte zur Befahrung einlädt. Bei der nächsten Anlandung habe ich wiederum Steine vom Kiesstrand in den Skegkasten bekommen und bei dem anschließenden Gezerre an der Vorrichtung den Führungsschlauch aus der Befestigung gerissen. Catharina fährt es zwar noch händisch aus – für den Rest der Etappe bin ich aber stark lufgierig und muss mein Boot während der langen Querung ständig mit Bogenschlägen auf Kurs halten. Die Anstrengung lässt meine Laune in den Keller sinken. Diese hebt sich erst wieder als die Mine, die neben unserem Zielstrand liegt, in Sicht kommt. Nach einer längeren Skegreparatur funktioniert dieses besser als zuvor. Eine endgültige Befestigung verschiebe ich mangels Material aber auf zu Haus.

 

Immerhin scheint die Sonne. Die Laune steigt wieder nach erfolgreicher Reparatur und Christoph muss nicht lange überzeugt werden, eine Roll-Session in der idyllischen Bucht einzulegen. Auch die Handrollen sitzen in leicht bewegtem Wasser, bis nach einer guten halbe Stunde die Luft raus ist. Natürlich lassen wir uns eine Besichtigung des Minengeländes nicht entgehen. Früher Elbas Haupteinnahmequelle wurde hier irgendwann der Betrieb aufgegeben und ohne größere Vorkehrungen alles stehen und liegen gelassen und dem Verfall preisgegeben. Entstanden ist ein feiner Abenteuerspielplatz für Erwachsene.

Am nächsten Tag geht es bei leichtem Nordwind die Ostküste hinaus. Am Strand hatten wir keinen Internetempfang für eine aktualisierte Wetterprognose. Das holen wir nach Einkauf und Mittagessen in Marina die Campo nach. Für die nächsten beiden Tage werden sehr starke Winde aus West angesagt, sodass wir befürchten müssen, auf einem angepeilten Strand an der Ostküste festzusitzen. Wir entsschleßen uns daher bereits heute die Etappe zu verlängern und zum Ausgangspunkt zurückzupaddeln. Und das stellt sich schon jetzt als gute Entscheidung heraus. Es folgt der schönste Abschnitt der Tour. Während der Wind sich legt, rollen die von den Nordwest-Winden der Vortage erzeugten Dünungswellen noch bis zu zwei Meter hoch heran. Sie brechen nur selten, sodass es paddlerisch angenehm bleibt, aber mal richtiges Seekajak-Feeling aufkommen lässt…

Auch die Winde, die ab der anschließenden Nacht über den Campingplatz in Acquaviva fegen und Gischt bis zu unseren 100m vom Strand entfernten Zelten pusten, geben unserer Entscheidung Recht. Bei den Brandungswellen, die über den ganzen Tag in der eigentlich recht geschützten Bucht auflaufen, wäre ein sicheres anlanden nur schwerlich möglich gewesen.

Vogalonga 2013

Die Vogalonga zieht seit fast vierzig Jahren tausende Wassersportler an. Hunderte Ruderboote, Paddelboote und venezianische Gondeln begeben sich einmal im Jahr am Pfingstsonntag gemeinsam auf eine Tour durch die Umgebung von Venedig. Auch für uns soll sie den Höhepunkt der Woche in der Lagune bilden.

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Unsere Wecker klingeln um 6:30 Uhr und nach den üblichen Vorbereitungen geht es vom Steg des Zeltplatzes nach Venedig. Schon auf dem Weg dorthin herrscht ziemlich viel Betrieb. Am Markusplatz angekommen sammeln sich schon hunderte Kajaks, Kanadier, Drachenboote, Ruderboote und Gondeln erwartungsfroh auf den Start. Diesen markiert ein Kanonenschuss, der ein Raunen und Jubeln durch die Menge gehen lässt, woraufhin sich der Pulk auf den knapp 30 km langen Weg macht.

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Das Wetter lässt in diesem Jahr zu wünschen übrig. Der Himmel ist wolkenverhangen. Trotzdem ist die Stimmung gut. Da es jede Menge zu sehen gibt, stören auch kaum einen die vielen Nadelöhre, durch die sich der Bootspulk immer wieder quälen muss. An San Erasmo vorbei geht es Richtung Murano, wo die ersten Versorgungsschiffe auf uns warten. Hier macht sich das tagelange Balltraining bezahlt. Die zugeworfenen Bananen fangen wir anders als andere Mitpaddler gewohnt souverän. Der ein oder andere Paddler nötigt uns trotzdem einigen Respekt ab, wie er mit Wildwasserboot von Heckwelle zu Heckwelle paddelt. Nach einem kurzen Stopp auf San Caterina geht es weiter Richtung Murano. Die Paddlerwelt ist klein. So treffen wir dort auch verschiedene Padler aus Berliner Nachbarvereinen.

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Als wir nach Venedig über Tre Archi einfahren wollen, geht nichts mehr. Hier stauen sich die großen Boote und verkeilen sich immer mehr. Das Tempo sinkt mit steigender Stimmung. Insbesondere die lautstarken Drachenboote sorgen für gute Stimmung im Kanal. Als Kajaker nutzen wir immer wieder die Chance, an den großen Booten vorbeizuschlüpfen und erreichen irgendwann den Canale Grande, auf dem es deutlich leerer ist. Anlässlich der Vogalonga ist er für den Motorbootverkehr gesperrt. Immer wieder feuern uns Venezianer aus ihren Fenstern und Beoabachter von den vollbesetzten Brücken und Piers an. Fröhlich beschwingt geht es so auf den Markusplatz, wo der durch die grandiose Kulisse und die schiere Masse der muskelbetriebenen Boote beeindruckende Rundkurs endet.

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Paddeln auf’s durchlauchtigste – eine Woche in der Lagune von Venedig

Ankunft und erstes Beschnuppern

venedig_blog_01Von der Nordsee aus führt uns unsere nächste Urlaubsetappe nach Venedig. Vor der Vogalonga, die den Wochenabschluss bilden soll, wollen wir mit Freunden aus dem TKV noch eine Woche in der Lagune verbringen. Nach den kühlen Bedingungen auf Spiekeroog, 14 Stunden Autofahrt und einer eher unruhigen Nacht im vollbepackten Auto freuen wir uns über die immer kräftiger strahlende Sonne und steigenden Außentemperaturen. Über die erst 1846 als erste Festlandsverbindung erbaute Brücke erreichen wir den Fährhafen von Venedig, wo die Fähre zum Lido bereits abfahrbereit liegt. Am dortigen Campingplatz sind wir mit dem per Flugzeug angereisten Rest der Gruppe verabredet. Mit der Fähre durch Venedig, direkt am Markusplatz vorbei geht es bei frühlingshaften Temperaturen auf den Lido zu. Nahezu zeitgleich mit dem Rest treffen wir am Zeltplatz ein, der noch reichlich leer ist, sich aber im Laufe der Woche füllen soll. Nach dem Aufbau der Zelte und des Faltboot-Zweiers entschließen wir uns noch zu einem kurzen Abstecher nach Venedig und paddeln zum ersten Mal an Gondolieri vorbei durch die eher touristisch geprägten Kanäle bis zur Rialtobrücke über den Canale Grande.

venedig_blog_02Man merkt der Stadt sofort an, dass Geschichte und tägliches Leben der Venezianer eng mit dem Wasser verbunden ist. Die Lieferung der Ikea-Schränke erfolgt hier schon mal per Boot, genau wie die letzte Fahrt zur Friedhofsinsel San Michele. Unsere Kajaks gleiten vorbei an den Prachtbauten von Kaufleuten, Kirchen, Palästen und den allgegenwärtigen Bogenbrücken durch die engen Kanäle. Überall atmet man den Duft dieser Geschichte, der leider immer mal wieder durch den eher unschönen Geruch des Wassers überdeckt wird. An den meisten Gebäuden nagt neben dem Zahn der Zeit auch das allgegenwärtige Nass. Zwischen all den Booten – vom Fischer, Transportschiff, Gondoliere, Vaporetto, Ambulanzschiff bis hin zu großen Fähren und Kreuzfahrtschiffen – ist Seekajakerfahrung von Vorteil, da sich teilweise ziemlich kabbelige Wellen bilden.

Ton in Ton

venedig_blog_03Der zweite Tag soll uns ein Stück in die 550 Quadratkilometer große Lagune mit ihren zahllosen Inseln führen. Jede dieser Inseln hat eine individuelle Prägung verbunden mit einer Spezialisiertung in der Handwerkskunst oder etwa als Insel für Klöster. Direkt gegenüber von unserer Einsetzstelle liegt die Festungsinsel Le Vignole mit der alten Festung San Andrea, von der berichtet wird, dass in der gesamten Geschichte Venedigs kein ungebetenes Schiff vorbeifahren konnte. Am Porto di Lido, der nördlichsten der drei Durchfahrten zur offenen Adria geht es vorbei Richtung Burano. Schon seit längerem wird hier an einem gigantischen Tor zum Schutz der Lagunenstadt vor immer häufigeren Überflutungen gearbeitet. Dieses Projekt „Mose“ markiert das neueste Kapitel in der langen Geschichte des Ringens der Venezianer mit den Naturgewalten der Adria um ihr Land. Weil die dadurch behinderte Selbstreinigung der Lagune durch Austausch mit frischem Wasser aus dem Meer beeinträchtigt wird, ist dieses Mammutprojekt naturgemäß stark umstritten.

venedig_blog_05Hier am Porto ist der Tidenstrom am stärksten und hilft uns ab jetzt. Vorbei an San Erasmo, dem Gemüsegarten von Venedig geht es jetzt flott voran. Die Fahrwasser sind in der Lagune durch große Dalben markiert: als Dreibein fest miteinander verbundene Baumstämme markieren die Seiten, die jeweilige Innenseite ist durch ein nummeriertes Schild gekennzeichnet. Ziemlich schnell liegt Burano zu unserer Linken – schon bei einem ersten Abstecher durch ihre Kanäle begeistern die Häuser des Städtchens durch ihre farbenfrohen Fassaden. Jedes Haus scheint seine individuelle, kräftige Farbe zu haben. Bei einem Landgang setzt sich dieses Farbenspiel in den Gässchen fort. Sogar die vor dem Häusern abgestellten Plastikmülleimer sind farblich auf den hauseigenen Farbton abgestimmt.

venedig_blog_06Burano ist für seine gehäkelten und geklöppelten Spitzenstoffe bekannt, die zumindest die mitpaddelnden Damen in Entzücken versetzen und zu Spontankäufen verleiten. Nach einem kleinen Mittagssnack, Spaziergang über die Insel zum schiefen Kirchturm und einer kurzen Siesta im Schatten geht es weiter zur Nachbarinsel Torcello.

Einst soll dies mit 50.000 Einwohnern die Hauptinsel der Lagune gewesen sein. Zwischenzeitlich laden statt der ehemaligen Märkvenedig_blog_07te, Paläste und Kirchen nur noch eine Basilika, vereinzelte Häuser und umliegende Gärten zum Verweilen ein. Diese versprühen aber herrlich italienisches Flair bei frühlingshaften Temperaturen. Mittlerweile läuft das Wasser wieder aus der Lagune und hilft uns damit erneut auf unserem Rückweg Richtung Lido. Zügig geht es vorbei an der Insel Madonna del Monte. Auch hier zeugen nur noch Ruinen von der ehmaligen Nutzung. Zwischenzeitlich erobert sich der stete Wechsel von Ebbe und Flut Stück für Stück die Insel zurück.

venedig_blog_04Um abzukürzen halten wir uns nicht allzu streng an die Fahrwasser, werden dabei aber immer wieder von einzelnen Inseln „überrascht“, die trotz Bebauuung nicht auf unserer Karte der Lagune eingezeichnet sind. Meist handelt es sich dabei jedoch um die weitläufigen Salzwiesen – artenreiche Feuchtbiotope, die sich einiger Berühmtheit erfreuen und als „Lungen der Lagune“ Unmengen Wasser speichern und filtern.

Glasbläser und Gummibälle

venedig_blog_10Am dritten Tag fahren wir von Norden nach Venedig herein. Linker Hand hinter hohen roten Backsteinmauern passieren wir das Arsenal, das früher das größte Schiffsbauzentrum Europas war. Wenig später das Krankenhaus der Stadt, an dem immer wieder Boote mit Blaulicht und Signalhorn an- und ablegen. Durch die Kanäle schlängeln wir uns Richtung Rialtobrücke. In deren unmittelbarer Nähe liegt das Organisationsbüro der Vogalonga, wo wir uns noch für die Fahrt am Sonntag anmelden wollen. Nach Erledigung dieser Formalitäten und mit gesteigerter Vorfreude fahren wir am Bahnhof vorbei in nördlicher Richtung aus der Stadt hinaus. Vor uns erstreckt sich nun hinter Ziegelmauern die berühmte Friedhofsinsel San Michele.

venedig_blog_08Aus hygienischen Gründen und entsprechend der üblichen Spezialisierung innerhalb der Inselwelt haben die Venezianer Bestattungen auf diese Insel beschränkt. Direkt hinter San Michele erstreckt sich nun Murano vor uns. Aus Angst vor Bränden wurden hierhin im 11. Jahrhundert die venezianischen Glasbläser verlagert. Auch wir nutzen die Gelegenheit und legen im Zentrum von Murano an, um bei einem Landgang in den Auslagen der Geschäfte die traditionelle Handwerkskunst zu bewundern. Persönlicher Höhepunkt meiner Murano-Fahrt ist der Fund eines treibenden Gummiballs, der mich die nächsten Tage begleiten wird. Er wird zur Einführung des „Venediger Brückenwurfs“ führen und als Poloballersatz zur Konditionierung von Christoph führen, der die folgenden Tage nach jedem Gegenstand hechten wird, der kurz vor seinem Boot platschend ins Wasser fällt. Kurzzeitig müssen auch springende Fische befürchten reflexhaft gegriffen zu werden. Zurück geht es erneut durch die Kanäle. Aufs Geratewohl biegen wir durch die Kanäle und fahren auch durch weniger touristische Gebiete. Immer wieder liegt jedoch der Canale Grande am Ende dieser Kanäle. In der eher kleinen Stadt scheint er sich wie die Hauptschlagader durch Vendig zu ziehen.

Einmal Markusplatz und zurück

Anfahrt_MarkusplatzHeinrich Breidenbachs nautischer Reiseführer „Die Lagunen von Venedig – Grado“ meint, „Venedig auf eigenem Kiel anzulaufen und bis vor den berühmten Markusplatz zu fahren, ist ein großartiges Erlebnis“. Damit hat er völlig Recht. Nach einem Blick auf die Hochwasserprognose setzt sich bei uns aber die Idee fest, auf (!) den Markusplatz zu fahren. Zeitpunkt und Höhe der Tide werden in der Lagune offensichtlich weit mehr von der Wetterlage als von astronomischen Konstellationen beeinflusst. Die Stadt Venedig gibt dazu eine sehr interessante Übersicht heraus, die mehrmals täglich aktualisiert wird. Während unseres Aufenthalts in der Lagune konnte es da auch schonmal passieren, dass ein Hochwasser „ausfiel“. Für heute ist – offensichtlich bedingt durch den starken Wind, der schon nachts unsere Zelte ordentlich durchgerüttelt hat – ein Hochwasserstand von über einem Meter angekündigt. Ab 80 cm wird der Markusplatz überspült, worauf der Bulletin der Stadt freundlicherweise ebenfalls hinweist.

SeufzerbrückeNach anfänglichem Zögern, ob wir uns bei dem starken Wind tatsächlich auf’s Wasser trauen sollen, siegen Neugier und Abenteuerlust. Also geht es vom Zeltplatz auf dem Lido aus Richtung Venedig. Um dem Wind nur eine möglichst kurze Zeitspanne voll ausgesetzt zu sein, nutzen wir jede sich bietende Insel als Schutz und genießen schließlich die Ruhe in den Kanälen Venedigs zum Verschnaufen. Unter der Seufzerbrücke hindurch deutet sich bereits an, dass der Wellengang auf dem Canale Grande noch einmal eine ganz andere Qualität hat als in der übrigen Lagune. Die Wellen schlagen reflektiert von Mauern und Schiffen erbarmungslos und aus allen Richtungen hoch. Bei den Kapitänen der Passagierschiffe gibt es eigentlich nur zwei Reaktionen auf unser Eintreffen: die Hände werden über dem Kopf zusammengeschlagen oder wir werden fotografisch festgehalten. Von hier aus sehen wir, dass der Markusplatz nicht so stark überflutet ist wie erhofft. Es gibt allerdings einen Zugang über einen Säulengang, auf den ich – PE-Boot sei dank – ohne großes Zögern auffahre. Das Paddelglück währt allerdings nicht lang und es heißt mangels Tiefgang aussteigen. Während Christoph und Michael hinter mir den gleichen Weg nehmen, werfe ich einen Blick um die Ecke auf den Markusplatz, wo ich Menschen in knietiefem Wasser waten sehe. Im Zentrum scheint der Platz also tiefer gelegen zu sein. Christoph muss nicht lange überzeugt werden, am Boot anzupacken und es gemeinsam genau dorthin zu tragen.

Markusplatz_1Sobald das Boot wieder die sprichwörtliche Handbreit Wasser unter dem Kiel hat, heißt es für mich einsteigen und mit ziemlich flachen Paddelschlägen weiter auf die Kirche San Marco zufahren. Jetzt kommen meine dreißig Sekunden Ruhm. Während man in Venedig als Paddler schonmal häufiger fotografiert wird, steht jetzt rund um den überfluteten Markusplatz eine lange Kette von Touristen und löst ein Blitzlichtgewitter aus. Während ich diese Kulisse genieße, werde ich durch einen ziemlich lauten Pfeifton aufgeschreckt und springe reflexartig aus dem Boot. Zwei Polizisten in neongelben Westen scheint mein Treiben offenbar nicht so sehr zu gefallen wie mir. Beide stehen trockenen Fußes an der gegenüberliegenden Seite des Platzes. Nach kurzem Blickkontakt drehe ich mein Boot und will von dannen ziehen. Einer der Polizisten winkt mich jedoch heran. Unschlüssig, ob ich dem nachkommen soll, konsultiere ich Christoph. Der meint recht trocken: „Sollen sie uns doch holen kommen!“. Ein weiterer Blickkontakt mit den Polizisten. Der zweite Carabinieri winkt jetzt ab. Das heißt dann wohl 2:1 – wir machen die Biege. Treidelnd und tragend wird das Boot wieder zur Einstiegsstelle bewegt und die Heimreise zum Zeltplatz angetreten. Mission accomplished.

Frischwasser!

venedig_blog_11Der Wind des vergangenen Tages hat noch nicht ganz nachgelassen und bläst immer noch recht stark von der Adria auf die Lagune zu. Das wollen wir nutzen, um durch den Porto di Lido aus der Lagune herauszufahren. Hier erwarten uns Wellen zwischen 1,50 und 2 Metern. Herrliche Bedingungen, um etwas zu spielen und vor allem ein wenig zu rollen, was wir in der Lagune mit ihrer eher begrenzten Wasserqualität tunlichst vermieden haben.

venedig_blog_12Nach Rückkehr und Mittagspause sollen heute die eher abgelegenen Viertel rund um das jüdische Getto unser Ziel sein. Hilfsbereite Damen, die ganz wie überall auf der Welt gern aus dem Fenster schauen, wollen uns partout den Weg zum Canale Grande weisen. Nach kurzer Diskussion können sie aber auch mit einer groben Richtung zur Synagoge aushelfen. Auf dem Rückweg über den Canale Grande positioniere ich mich wie schon einige Male zuvor im Heckwasser eines gerade ablegenden Wasserbusses. Der meint es mit seinem Gaspedal plötzlich allerdings sehr gut und erzeugt eine Strömung, in der mich eine hohe Stütze nur noch gerade eben vor einer Kenterung rettet. Nachdem ich das Boot wieder stabilisiert habe, rufe ich Catharina noch zu, nicht in die Nähe des Schiffes zu kommen. Sie stützt aber ebenfalls bereits sicher und wird eindrucksvoll mehrere Meter zur Seite versetzt. Wie gesagt, macht sich in Venedig das ein oder andere Mal Seekajakerfahrung bezahlt.

venedig_blog_09Nach ein paar Tagen in der Stadt ergänzen sich die bisherigen Ecken zwischenzeitlich gut und wir merken immer mehr, wie überschaubar groß Venedig ist. Die daraus resultierende Frage, wieviele Einwohner die Lagunenstadt eigentlich hat [58.901 im historischen Zentrum], markiert die Geburtsstunde der Wikipedia-Rolle für den fortgeschrittenen Kajak-Geek: statt Paddel hält dieser ein wasserfestes Smartphone in der Hand und bekommt eine Stadt zugerufen. Nach der Kenterung hat er unter Wasser Gelegenheit, dies nachzuschlagen, rollt hoch und präsentiert die Antwort. Von der sofortigen praktischen Umsetzung sehen wir angesichts der Wasserqualität ab behalten dies aber für einen späteren Termin fest im Blick.

Zurück geht es vorbei am Klosterkomplex auf der Insel San Giorgio mit eindrucksvollen Bauten und idyllischen Parkanlagen sowie San Servolo, auf der noch bis 1978 eine grausame Irrenanstalt betrieben wurde. Heute ist Freitag und der Zeltplatz hat sich in unserer Abwesenheit bis zum bersten mit Paddlern & Ruderern aus halb Europa gefüllt. Immer wieder hört man das Stichwort Vogalonga und die T-Shirts der vergangenen Jahre werden präsenter. Auch bei uns steigt die Vorfreude kontinuierlich […]venedig_blog_14

Empfehlenswerte Literatur

Neben den üblichen Reiseführern ist der nautische Reiseführer von Heinrich Breidenbach „Die Lagunen von Venedig – Grado“ lesenswert. Er richtet sich mit den Revierbeschreibungen zwar in erster Linie an Segler, ist aber auch für Kajaker nützlich und hält auch einige Tourenvorschläge bereit. Blättert man durch den Reiseführer merkt man auch immer wieder, welche Vorteile die Erkundung der Lagune per Kajak hat: an vielen Stellen, an denen größere Schiffe nicht willkommen sind oder gar nicht anlanden können, konnten wir problemlos anfahren.