Im Kajak von Berlin nach Cuxhaven

Vor längerem habe ich mal in einer Kanuzeitschrift einen Bericht über eine Paddeltour von Berlin nach Hamburg gelesen – mehrfach dann selbst in Erwägung gezogen. Ich bin aber nie über das Ideenstadium hinausgekommen. Was es braucht, ist schlicht eine Gelegenheit. Schließlich habe ich an einem Samstag im September einen „Termin“ in Cuxhaven – ein Kind will getauft werden. Die zwei Wochen vorher habe ich frei. Der Plan drängt sich auf, mit Muskelkraft anzureisen.

Am Samstagmorgen, zwei Wochen vor der Taufe, steige ich also wie gewohnt am Schwimmsteg des TKV ins Boot. Irgendwie ist es noch relativ unwirklich, dass ich von dort nicht die übliche kleine oder große Runde vor mir habe und nicht ein paar Stunden später das Boot wieder ins Regal räume. Heute ist das Boot bis in die Spitzen beladen, liegt tief wie noch nie und ist zudem völlig hecklastig. Das ist bei dem Wind nicht wirklich angenehm, weil sich das Boot ständig dreht. Ich bin aber viel zu sehr in Aufbruchsstimmung, als dass ich das jetzt nochmal umpacken würde. Die bessere Verteilung des Gewichts soll sich in den nächsten Tagen einstellen und die Ladung wird ja ebenfalls immer weniger. Catharina begleitet mich noch auf den ersten Kilometern, dreht dann aber um und ich bin auf meiner ersten Solotour. Seit dem Hiddenseemarathon bin ich nicht mehr wirklich viel gepaddelt. Ich bin aber recht zuversichtlich, dass sich die Paddelkondition wieder schnell einstellen wird. An der Schleuse Spandau ist der Havelkilometer 0 angeschlagen. Die nächsten Tage soll diese Zahl auf meinem Weg kontinuierlich steigen. Unterwegs komme ich mit mehreren Paddlern ins Gespräch über Grönlandpaddel und verschiedene Marathonveranstaltungen. Einer fragt mich, ob ich ihm mal kurz mit einer Karte aushelfen könne, damit er sich nochmal wegen seines nächsten Abzweigs rückversichern kann. Aus meinem beeindruckenden Stapel laminierter Karten reiche ich ihm die oberste und erkläre auf seinen fragenden Blick hin nur: „Ich will zur Nordsee.“

Am ersten Abend in Ketzin habe ich die Gelegenheit, die neuen Teile meiner Ausrüstung endlich unter realen Bedingungen einzuweihen. Insbesondere auf meinen Hobo habe ich mich gefreut. Bewusst habe ich sonst keinen Kocher mitgenommen und werde die nächsten zwei Wochen nur auf offenem Holzfeuer kochen. Das stellt sich als schwieriger heraus als zunächst gedacht. Aber irgendwann gewöhne ich mich auch an die Hitzeregulierung und genieße die ersten Spaghetti mit Thunfisch dieser Tour bis mich die Mücken ins Zelt treiben.

Nach ein paar guten Eierkuchen zum Frühstück geht es früh am nächsten Morgen weiter flussabwärts. Im ständigen Wechsel von absolut unberührter Natur und vereinzelten Siedlungen schiebe ich mich die Havelbuchten entlang. Hat sich eben noch eine kleine Ringelnatter weggeschlängelt, fahre ich jetzt schon in Brandenburg ein. Gerade auf den größeren Seen erzeugt der Wind auch heute noch ordentliche Wellen – aber jetzt ist mein Boot wesentlich besser getrimmt und das Seekajak ist in seinem Element. Abends gönne ich mir auf einem Zeltplatz eine heiße Dusche und in der benachbarten Gaststätte ein Schnitzel. Völlig untypisch sind die Dauercamper durchgehend freundlich.

Der nächste Morgen beginnt mit einem beeindruckenden Naturschauspiel: ein großer Schwarm Wildgänse lässt sich mit lautem Geschnatter auf der Havel nieder. Einmal mehr hat sich das frühe Aufstehen zum Sonnenaufgang gelohnt. Die Mittagspause verbringe ich heute unter dem Schild von Havelkilometer 100. Die herrliche Sonne soll genutzt werden, um mit dem mitgebrachtne Solarpanel mein Handy aufzuladen. Die passenden Kabel sind natürlich nicht dabei, sodass ich noch eine kleine Shoppingtour in Rathenow einlege, bevor es mit einem Liter Mezzomix in der Tagesluke zielstrebig weiter geht. Durch Zufall entdecke ich in Gütz einen sehr gut ausgestatteten Biwak-Platz, der offenbar so neu ist, dass er nicht in meiner Karte eingezeichnet ist. Jeder in dem Örtchen scheint sich für den reibungslosen Betrieb mitverantwortlich zu fühlen, sodass einige sehr nette Gespräche entstehen.

Ganz großes Kino ist für mich die Selbsbedienungs-Kahnschleuse hinter Gütz. Völlig im Handbetrieb müssen die Schleusentore geöffnet und geschlossen werden, während das Kajak sorgsam vertaut in der Schleusenkammer treibt. Hätte ich kein Ziel vor Augen, würde ich mich hier glatt ein paar Tage als Schleusenwärter verdingen. Stattdessen genieße ich am Abend die Gastfreundschaft der Ruderriege Havelberg und nutze die Gelegenheit zu einem längeren Stadtspaziergang bei Gyros und Eis.

Schleusen gehören auf dieser Tour zum täglichen Geschäft. Immer wieder heißt es warten, bis sich die Schleusentore öffnen. Der Griff zum Telefon und Anruf in der Fernbedienzentrale wird langsam zur Gewohnheit, bevor häufig nur für mein kleines Kajak Millionen von Litern Wasser bewegt werden. Heute steht mein letzter Anruf in der Fernbedienzentrale Rathenow an. Und zum ersten Mal geht es aufwärts. Hinter der Schleuse Havelberg wartet die Elbe.

Ab jetzt kommt ordentlich Strömung ins Spiel. Auch ohne zu paddeln, treibt der Strom mich mit 4 bis 5 km/h voran. Trotz des zunehmenden Gegenwinds komme ich daher gut voran. Die Mittagspause nutze ich heute für einen kleinen Spaziergang durch das Storchendorf Rühstedt. Die Bewohner haben ihr Dörfchen recht beschaulich hergerichtet und auf jedem zweiten Dach findet sich ein Storchennest. Das dortige Geschehen wird sogar ins Internet übertragen. Auch wenn ich keinen einzigen Storch sehe, hält die Vogelwelt an der Elbe einiges bereit. Überall am Elbestrand lagern unzählige Schwärme von Gänsen und Seeschwalben auf ihrem Weg ins Winterquartier. Diese Idylle trübt kaum ein Boot. Außer ein paar Kuttern, die Instandsetzungsarbeiten an den Tonnen verrichten oder die Fahrrinne ausbaggern, sehe ich keine Wasserfahrzeuge. Mittlerweile in Niedersachsen eingelaufen, genieße ich beim Biwak in Schnackenburg den ersten Abend an der Elbe.

Der nächste Morgen hält eine gigantische Stimmung bereit. Das gegenüberliegende Ufer verschwindet völlig im Nebel. Auch die Umrisse von Schnackenburg schauen nur noch vereinzelt aus einer Watteschicht hervor. Die Sonne scheint sich immer wieder durch die Nebelschwaden zu fressen, bevor es sich anschließend wieder richig zuzieht. Die Orientierung am Tonnenstrich klappt ziemlich gut, rechts und links sehe ich aber nicht wirklich viel.

Nach der folgenden Nacht auf dem Campingplatz Elbestrand treffe ich Jürgen. Er ist von Dresden aus unterwegs, nachdem er vorher den Rhein runter gepaddelt ist. Er will noch bis Lühesand und dort „richtig Urlaub machen“. Er hat gute Tipps parat, vor allem für eine schöne Aussichtsplattform in Boizenburg, von der ich bei der Mittagspause einen großartigen Panoramablick über die Elbe genieße. In Lauenburg fülle ich unter anderem meine Haribo-Vorräte wieder auf ein erträglich Maß auf. Jetzt befinde ich mich in Schleswig-Holstein, wie mir vertraute Gesichter auf den Wahlplakaten verraten. Ab Boizenburg nimmt die Strömung der Elbe spürbar ab – dafür der Verkehr vor allem hinter der Mündung des Elbe-Seitenkanals spürbar zu. Ich treffe Jürgen wieder auf der Zeltwiese des KC Geesthacht.

Am nächsten Morgen lassen wir es sehr ruhig angehen. Wie üblich bin ich zwar zum Sonnenaufgang wach. Hinter der Schleuse Geesthacht ist die Elbe allerdings Tidengewässer, sodass man gegen auflaufendes Wasser wenig Spaß hat. Wir planen den Aufbruch so, dass wir eine Stunde vor Hochwasser hinter der Schleuse sind, durch die wir mit einigen beeindruckend dicken Schubverbänden und zahlreichen Sportbooten geschleust werden. Bei einer ungeschickten Bewegung in der Schleuse zerre ich mir einen Nackenmuskel, der mir schon das ein oder andere mal Probleme gemacht hat. Die kommenden Kilometer werden also recht unentspannt. Das eher mäßige Wetter mit dichten Wolken, gelegentlichen kurzen Schauern und vor allem stärkerem Gegenwind tut sein Übriges. Immerhin haben wir zwischenzeitlich Hochwasser gehabt. Wir paddeln also nicht mehr gegen eine leichte Strömung – vielmehr hilft sie zunehmend.

Lange ist der Landschaft nicht anzumerken, dass ich auf eine Großstadt zu paddle. Vieles erscheint vom Wasser aus naturbelassen und die gelegentlichen Gebäude könnten auch zu jeder anderen Stadt an der Elbe gehören. Erst nach verschiedenen Windungen kündigen Teile der Skyline und diverse Kräne den Hamburger Hafen an. Direkt am Bau der Elbphilharmonie liegt die Queen Mary 2 vor Anker und zieht die Blicke der Ausflügler auf ihren Barkassen auf sich. Dort wird es zudem richtig wellig – Vierer-Wind von vorn trifft auf Vierer-Strömung von hinten. Ich biege Richtung Schaartorschleuse. Entgegen anfänglicher Befürchtungen werde ich trotz fortgeschrittener Stunde und Großveranstaltung auf der Binnenalster noch geschleust. Über Alster und Isebekkanal geht es zu gastfreundlichen Freunden, wo ich das Wochenende verbringen will. Unvermittelt kommen mir Zeilen des Klassikers von Lotto King Karl ins Gedächtnis: „Wenn Du von Süden kommst, ist Hamburg direkt vor Grönland. Wenn du aus der Hauptstadt kommst, möchtest du hier gar nicht mehr weg.“

Weggewollt hätte ich zwei Tage später schon. Aber bei einer prognostizierten Windstärke 5, in Böen 7, und die Aussicht das im Hamburger Hafen zu erleben, hat dann doch zur Abwechslung mal die Vernunft gesiegt. Dafür geht es am nächsten Morgen richtig früh los. Wieder hängt die gesamte Tagesplanung am Tidenverlauf. So rollere ich eine Stunde vor Sonnenaufgang aus der Tiefgarage meiner Gastgeber und gleite um sechs Uhr über den spiegelglatten Isebekkanal wieder Richtung Alster. Gegen acht passiere ich Rathaus und die dortigen Schleusen, bevor es dann endlich in den Hafen und damit zurück auf die Elbe geht. Hier ist es heute morgen noch vergleichsweise ruhig. Trotzdem halte ich mich vorschriftsmäßig zwischen Landungsbrücken und Ufer. Die Elbe hat hier ziemlich guten Wellengang. Nachdem ich am Wochenende aber viel nun unnützes Gepäck gegen meine Paddeljacke eingetauscht habe, fühle ich mich in meinem Boot seetüchtig und strebe erwartungsfroh weiter der Nordsee entgegen. So paddle ich bis zu Niedrigwasser und schon einsetzender Gegenströmung bis Wedel, wo ich dann eine längere Zwangspause einlege, Mittag esse, lese und den vorbeifahrenden Containerfrachtern zusehe. Jedes Schiff bekommt nach einem Tusch seine Nationalhymne gespielt (die Handeslflotte von Liberia ist ziemlich beeindruckend!) und den Spaziergängern und Gaststättenbesuchern werden Fakten zum Schiff, seiner Route angesagt. Die Ansage „Die 5,20 Meter lange Serenity aus der Valley-Werft in Nottingham verbraucht 2 Liter Mezzomix auf 100 km und transportiert Ingwer und Haribo Colorado von Berlin an die Nordseeküste.“ muss ich aber wohl verpasst haben.

Ursprünglich hatte ich geplant, heute bis Lühesand zu paddeln. Wegen des anhaltenden Schietwetters und der zeitlich eher ungünstigen Tiden beschließe ich aber eher mehr Strecke zu machen, um zum Ende der Woche noch ein paar schöne Tage in Cuxhaven verbringen zu können. Immer wieder gleiche ich Geschwindigkeit mit der Zeit bis zum Sonnenuntergang ab und steuere schließlich den Campingplatz Krautsand an. Der Campingplatz wirbt damit, direkt am Deich zu liegen. Was aber für Wasserwanderer in Wirklichkeit heißt: hinter (!) dem Deich. Nachdem die Räder meines Bootswagens immer wieder im nassen Sand feststecken, beginne ich irgendwann das Boot einfach ohne Wagen über den Sand zu ziehen, was wesentlich leichter ist. Keine zehn Pferde bekommen mich dazu, das Boot über den Deich zu tragen. Also wird es kurzerhand ins Gebüsch geschoben und nur das Nötigste für die Nacht auf den Zeltplatz getragen.

Auch der nächste Morgen beginnt früh, sehr früh. Ich will aber zumindest noch die letzten Stunden des ablaufenden Wasser mitnehmen. Vorbei am AKW Krümmel und der Mündung des Nord-Ostsee-Kanals geht es nach Brunsbüttel. Bei Niedrigwasser tue ich mich schwer, eine vernüftige Stelle zum Aussteigen zu finden. Nachdem ich aber mehrere Male meine Teva-Sandalen im Schlick festgetreten habe, mache ich endlich den beprickten Eingang zum Seglerhafen aus, den ich ansteuere und erstmal zu einer Grundreinigung von Boot, Kleidung und Ausrüstung ansetze.

Am frühen Nachmittag geht es endlich auf die letzte Etappe. Schon von weitem mache ich die Kugelbake an der Elbmündung in die Nordsee aus. Das Fahrwasser macht allerdings den ein oder anderen Schlenker, sodass die Bake nur sehr langsam größer wird. Schließlich geht es vorbei an Cuxhaven und den Kurgästen, die die großen Containerschiffe auf der Elbe bestaunen. Jetzt wird die Kugelbake und der kleine Strand daneben immer größer. Euphorie macht sich breit. Traditionsgemäß fische ich meine Nasenklammer aus der Schwimmweste. Been there. Done a roll.

Brandungspaddeln in Sankt Peter-Ording (EPP 3)

Auf das Brandungspaddeln hatte ich mich beim EPP 3 besonders gefreut. Nachdem der Termin wetterbedingt (in diesem Jahr war es ja ewig lange ewig kalt) in den Juni verlegt worden war, geht es heute nun endlich los. Wir sind letzte Nacht zu später Stunde in Sankt Peter-Ording angekommen und haben die Zelte im Dunkeln aufgebaut. So langsam erwacht nun alles um uns herum und wir sehen, wer sonst noch so dabei ist: es gibt das ein oder andere Wiedersehen mit Teilnehmern der Spiekeroog-Tour und des Theoriekurses. Nach den üblichen Morgenritualen und ein paar Trockenübungen an Land geht es endlich aufs Wasser. Naja… erstmal heißt es Ewigkeiten über den Deich bis zum Wasser rollern – nachdem das aber geschafft ist, suchen wir uns ein schönes Plätzchen zwischen den Kitesurfern.EPP3_Brandung_01

Wir gehen in Kleingruppen auf’s Wasser. Uns wird Bernd zur Seite stehen – er soll genauso verspielt sein wie ich, was sich später als wahr herausstellen soll. Der Wind bläst kräftig mit Stärke 5, was ziemlich schöne Wellen produziert. Wir stürzen uns mitten in die Brandungszone und fahren am langen Sandstrand entlang. Jede brechende Welle wird genutzt, um flache und hohe Stütze zu üben. Dabei kommen einige spannende Seitwärtssurfs heraus. Natürlich wird auch noch „vernünftig“ gesurft und Team Bernd beweist eine 100%ige Rollquote in der Nordseebrandung.EPP3_Brandung_03 EPP3_Brandung_02  EPP3_Brandung_05 EPP3_Brandung_04 EPP3_Brandung_07 EPP3_Brandung_06 EPP3_Brandung_24 EPP3_Brandung_23 EPP3_Brandung_22 EPP3_Brandung_21 EPP3_Brandung_20 EPP3_Brandung_19 EPP3_Brandung_18 EPP3_Brandung_17 EPP3_Brandung_16 EPP3_Brandung_15 EPP3_Brandung_14 EPP3_Brandung_13 EPP3_Brandung_12 EPP3_Brandung_10 EPP3_Brandung_09

Nach dieser ersten Tuchfühlung mit den Nordseewellen geht es erstmal zurück auf den Zeltplatz. Während der Rest anschließend bei einem Landgang Latte Macchiato schlürfen geht, schnappe ich mir meinen „Kleinen“. Zum Spielen habe ich nämlich noch den Eskimo Xeno auf dem Dach gehabt, der heute das erste Mal Salzwasser sehen soll. Zwischenzeitlich haben Wind und Wellen deutlich zugenommen. Die Wellen sind höher und die Brecher kommen in immer kürzeren Abständen. Das Durchbrechen der Brandungszone fällt mir also extrem schwer. Im Leninschen Geist („Ein Schritt vorwärts, zwei zurück“) schlagen mir die Brecher immer wieder mit voller Wucht gegen die Brust und werfen mich meterweit zurück. Endlich habe ich es geschafft und paddle weiter raus. Der Xeno macht sich gut in der Brandung, ist enorm wenig und surft wie ein großer. Ich fahre auf eine brechende Welle zu, drehe auf dem Wellenkamm auf der Stelle. Etwas, was mit dem Seekajak unmöglich sein dürfte: die Welle nimmt mich mit. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus, als ich Ewigkeiten später immer noch wie festgenagelt auf der Welle sitze. Dumm nur, dass ich damit wieder fast am Strand bin. Das will ich nochmal hinbekommen! Paddle also wieder gegen die brechenden Wellen an. Eine besonders heftige, schräg zu meinem Boot einlaufende Welle schmeißt mich um. Ich bin völlig orientierungslos und habe nur noch einen Reflex: raus aus dem Boot. So ein Mist, unfreiwillig geschwommen bin ich schon lange nicht mehr. Also heißt es schwimmenderweise zurück zum Strand. Die Wellen hauen immer wieder in das Boot, das so immer schwerer wird. Gefühlte Ewigkeiten später komme ich am Strand an und leere unter enormen Kraftaufwand das mittlerweile vollgelaufene Wildwasserboot. Einen Versuche unternehme ich noch. Das gleiche Spiel. Die Wellen hauen mir gegen die Brust und drücken mir die Luft aus der Lunge. Neben mir versucht ein Surfer das gleiche Spiel flachliegend auf seinem Board – ebenso erfolglos. Nach mehreren vergeblichen Versuchen haut mich wieder eine Welle um – ich bin jetzt deutlich weiter draußen und schwimme wieder an Land. Das dauert nochmal deutlich länger und ich bin absolut entkräftet. Hier siegt zur Abwechslung mal die Vernunft. Ich ziehe das Boot zum Bootswagen und von dannen.

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Am Sonntag steht eine weitere Runde in der Brandung an. Diesmal wieder in der Gruppe und im Seekajak. Der Wind weht weiterhin mit Stärke 6. Die Wellen kommen dicht hintereinander. Wie durch Butter schneide ich heute durch die Brandungswellen – wäre das nur gestern abend im Xeno genau so einfach gewesen. Die Bedingungen sind noch surffreundlicher als gestern. Ich lege einige geniale Seitwärtssurfs hin. Bernd gibt mir zudem noch ein paar eigentlich einleuchtende Tipps für’s Surfen. Mir wird klar, warum ich in der Vergangenheit dabei häufiger mal gekentert bin – nunja, man sollte darauf achten, stets zur richtigen Seite zu stützen, auch wenn sich das Boot langsam dreht. Unter anderem gelingt mir so ein herrlicher Surf, bis es mich irgendwann langsam querstellt. Ich stütze zur Abwechslung mal zur richtigen Seite, surfe seitwärts. Die Welle dreht mich wieder gerade und ich surfe weiter. Schon erwähnt, dass Seekajak fahren herrlich ist?

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Himmelfahrt auf Spiekeroog (EPP 3)

epp_spiekeroog-01 Über den Europäischen Paddelpass (EPP) wurde an anderer Stelle schon einiges geschrieben und diskutiert. Nachdem wir in den letzten Jahren schon das eine oder andere Mal auf eigene Faust auf Ostsee und dänischer Südsee und in erfahrener Begleitung auf der Nordsee unterwegs waren, war in diesem Jahr Ziel, unsere Kenntnisse und Fähigkeiten in Theorie und Praxis zu vertiefen. Der EPP 3 schien uns dazu als geeignet und wurde von erfahrenen Vereinskollegen wärmstens empfohlen. Angeboten werden die drei Kursbestandteile (Theorie, Brandungstraining & Einweisungsfahrt) von DKV-Küstenreferent Udo Beier. Udo ist ein Unikat, Erfinder der brechenden Schwimmbadwelle und von Freya Hoffmeister. Er hat schon einiges erlebt und erpaddelt – und teilt dieses Wissen gern.

epp_spiekeroog-07Nach dem lehrreichen, aber trockenen Theorieworkshop und vor dem kältebedingt auf später im Jahr verschobenen Brandungspaddeln sollte unsere Einweisungsfahrt in die Nordseegewässer rund um Spiekeroog gehen. „Einweisungsfahrt“ klingt arg dröge, ist aber eine schöne Gepäcktour, bei der reihum alle Teilnehmer mal die Gelegenheit bekommen, Udo ein paar Tonnen zu zeigen, Kurse zu bestimmen und weibliche Austernfischer am Klang des Flügelschlags von männlichen Eiderenten zu unterscheiden. Wir jedenfalls starten, wie wir es im Rahmen der zuvor angefertigten Hausaufgaben berechnet hatten, mit dem Hochwasser in Neuharlingersiel. Mit uns haben sich weitere gut hundert Seekajaks zum Himmelfahrtstreffen der Salzwasserunion auf Spiekeroog aufgemacht. Die Wetterprognosen sind nicht wirklich ideal: recht frisch und ziemlich starker Wind aus Südwest. Nachdem die Nasen kurz über den Deich gehalten wurden, ergab die allgemeine Stimmung, dass wir von der Umrundung von Spiekeroog heute noch absehen und uns direkt am Fahrwasser entlang nach Spiekeroog auf den Weg machen. Kurz vor Spiekeroog werden wir unerwarteterweise von der Fähre Langeoog II aufs Korn genommen. Sie und ihren plötzlichen Kurs auf Langeoog hat dort niemand erwartet. Nach dem Schrecken und verschiedenen Schleppübungen gönnen wir uns im Hafen von Spiekeroog erstmal eine Pause. Um noch ein wenig zu paddeln, geht es anschließend noch nicht direkt zum Zeltplatz, sondern das Gatt nach Langeoog wird gequert und wir vertreten uns dort auf trocken gefallenen Sandbänken die Beine. Jetzt aber rüber zum Zeltplatz, vor dessen Dünen sich schon beeindruckend Kajak an Kajak reiht – knapp 150 sollen es bei einer inoffiziellen Erhebung sein. Bei keinem Testival bekommt man wohl mehr Vielfalt geboten.

epp_spiekeroog-13Wegen der Windprognosen spricht alles für ein Standquartier auf Spiekeroog. So richtig traurig ist darüber niemand – nur aus dem geplanten Besuch von Baltrum wird daher wohl leider nichts. An Tag zwei wird erneut die Umrundung von Spiekeroog angepeilt. Es bleibt bei 5er-Wind aus Süd-West. Nicht eben ideal. Vor Spiekeroog West steht Brandung. Der Start der neunköpfigen Gruppe zieht sich daher ein wenig hin. Der ein oder andere wird bei den angesetzten Stützübungen immer wieder an Land gespült. Die Tour wird daher recht schnell abgesagt und in Brandungsübungen umgewidmet. Jetzt heißt es kanten, surfen, stützen und rollen. So werden aus der geplanten Umrundung nur knapp sechs Kilometer auf und ab – die aber ständig am Anschlag und zusätzlich mit der Gelegenheit, das Verhalten des eigenen (leeren) Bootes ausgiebig in der Brandung zu testen. Leider wirft mich der letzte Surf an Land in guter Tradition um. Die anschließende souveräne Rolle begeistert den Chef („Hallenbad Rolle rechts“) aber nachhaltig. Der Rest des Tages wird mit Landgang an Primär-, Sekundär- und Tertiärdünen vorbei ins idyllische Örtchen gefüllt, wo bei Kaffee und Kuchen ein kurzer Hausaufgaben-Check erfolgt.

epp_spiekeroog-27Tag drei: zum dritten Mal wird die Umrundung von Spiekeroog angepeilt. Wir einigen uns darauf, dass die Prognose von Windfinder die richtige sein muss, da sie uns weniger Wind und Regen als die Alternativen bereithält. Mit auflaufendem Wasser paddeln wir über das Harlesieler Wattfahrwasser Richtung Hafen Harlesiel. Westlich vom Leitdamm erreichen wir einen kleinen Strand und waten durch kniehohen Schlick an Land. Standesgemäß gibt es zum Mittag reichlich Fisch geräuchert oder in Bierteig frittiert. Udo schrammt unterdessen knapp an Harlesiel-Verbot wegen wiederholter Beleidigung von Kundinnen des Fischstands vorbei.

Entlang des Harlesieler Leitdamms und des Fahrwassers steuern wir jetzt Wangerooge an, wo wir einen kurzen Zwischenstopp einlegen wollen. Die Strecke legen wir in Rekordzeit zurück, da uns Strömung und Surfwellen kräftig nach Nordwesten schieben. Unterwegs ziehen wir die Aufmerksamkeit von zwei Dutzend Seehunden auf uns, die rund um die Gruppe von Kajakern immer wieder einzeln oder in kleinen Gruppen auftauchen. Erwischt habe ich das fotoscheue Pack gleichwohl nicht richtig.

epp_spiekeroog-47Von Wangerooge aus geht es jetzt auf die heutige Königsetappe: auf der Seeseite von Spiekeroog entlang. Wir paddeln gegen den Wind, der langsam auf West gedreht hat und immer noch gute fünf Windstärken hat. Teilweise geht unsere Geschwindigkeit auf kapp 2 km/h runter. Richtig garstig wird es, sobald der für vier Uhr angesagte Regen mit deutlicher Verspätung um 16:03 Uhr einsetzt. Die Regentropfen prasseln auf Wasser und vor allem ins Gesicht, was sowohl Sicht als auch Vorankommen deutlich erschwert. Als der Regen nach einer guten Stunde erst nachlässt und anschließend ganz aufhört, haben wir trotzdem schon eine gute Strecke zurückgelegt. Jetzt ergibt sich auch die Gelegenheit, immer mal wieder in die vereinzelten Brandungszonen zu paddeln und ein wenig zu surfen und spielen. Zum Ende hin zieht sich die Strecke dann allerdings, da die Robbenplate bereits deutlich trocken gefallen ist und umrundet werden muss. Teilweise ist die eigentliche Insel hinter dem hohen Watt nicht mehr zu erkennen. Als der Zeltplatz endlich in Sichtweite ist, wird – nicht unbedingt zur Freude aller Teilnehmer – noch ein kurzer Gang auf die Wattfäche eingelegt, die sich beeindruckend weit vor die Insel gelegt hat und nur durch kleine Rinnsale unterbrochen wird. Jetzt sind es nur noch ein paar hundert Meter bis zur Wattkante vorm Zeltplatz bis wir endlich wieder die Bootswagen auspacken und an Land rollern dürfen.

epp_spiekeroog-40Für die Rückfahrt am Sonntag halten sich sowohl Windstärke wie auch Windrichtung. Da wir noch den Janssand umfahren wollen, halten wir zunächst auf Langeoog zu und damit in den Wind. Als wir den angesteuerten Prickenweg erreicht haben, werden wir dafür aber mit Rückenwind belohnt und können für gut fünf Kilometer immer wieder einen guten Surf genießen. Westlich vom Leitdamm beenden wir auf einem kleinen Strand unsere Tour.

Nachklapp: Udo hat die Tour im Kanu-Forum weiter erläutert.

Seefahrt tut not – Herbstwochenende auf Wangerooge

Die Windvorhersagen stabilisieren sich im Laufe der Woche auf gute fünf Windstärken. Das ist mehr als wir uns für unsere erste Tour auf die Nordsee gewünscht hatten. Und dann kommt dieser Wind auch noch vom Festland, sodass wir uns nicht mal große Hoffnung auf ordentliche Brandung machen können. Trotzdem werden die Trockenanzüge ausgemottet und es geht euphorisch, aber auch respektvoll Richtung Nordsee.

Tag 1 – Nasses Willkommen

Manchmal muss man sich schon fragen, ob die skeptische Bekanntschaft nicht doch Recht hat. Lufttemperatur 15 Grad, Wassertemperatur knapp darunter, das Ganze bei Wind und Welle in einem kleinen Boot auf der Nordsee? Das normale Verständnis von Erholung sieht anders aus. Wir wassern jedenfalls an einem schönen Septembermorgen im Hafen von Neuharlingersiel unsere Seekajaks. Wir sind wohlpräpariert und in Begleitung von Gero, der hier um die Ecke groß geworden ist und einiges an Salzwasser-Erfahrung mitbringt.

Sofort als wir den Seekajak Wangerooge Spiekeroog Grönlandpaddel WattHafen verlassen, sehen wir auch schon unser Ziel – den Westturm auf Wangerooge, der sich schon auf diese Entfernung deutlich von der Inselkontur abhebt. Wir nutzen die Strecke für eine erste Orientierung im Wattenmeer. Gero weist immer wieder auf Orientierungspunkte, Landmarken und Grundregeln der Navigation hin. Ohne uns groß anzustrengen, schippern wir so mit einem 6er-Schnitt am Fahrwasser entlang Richtung Nordost. Eine eingestreute Kenterübung demonstriert uns denn auch, welche Kräfte hier wirken. Während Gero im Wasser treibt, werden wir vom Wind unerbittlich weiter gedrückt und kommen kaum dagegen an und zum Gekenterten zurück. Bei der Lenzung seines Bootes sehen wir Pricke um Pricke an uns vorbeiziehen. Neben diesen Partnerübungen bietet die Überfahrt auch Gelegenheit, in bewegter See die ein oder andere Technik auszuprobieren. Meine erste Nordseerolle gelingt erfreulicherweise – es sollte nicht die letzte bleiben.

Seekajak Wangerooge Spiekeroog Grönlandpaddel Watt WelleWährend wir am Fahrwasserrand die Ostseite von Spiekeroog passieren, stecken immer wieder neugierige Seehunde neben unseren Booten ihre Köpfe aus dem Wasser und begutachten uns und unsere Kajaks. Allerdings sind sie recht fotoscheu und bereits verschwunden, sobald die Kamera gezückt und ausgelöst ist. Auf dem Weg ins Gatt versuche ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit die von hinten kommenden Wellen zu reiten. Das heißt auf Geschwindigkeit paddeln, um im richtigen Moment den Wellenrücken unter dem Kiel zu haben. Das gibt zwar ordentlich Vortrieb, aber auf eigenes Paddeln kann ich nicht verzichten und ich verliere die Welle jeweils nach ein paar Sekunden wieder.

Seekajak Wangerooge Spiekeroog Grönlandpaddel Watt WelleDas Gatt selbst ist sehr aufgewühlt. Wo es etwas flacher ist, sieht man Wellen brechen und die Gischt beeindruckend hoch spritzen. Wir paddeln zunächst direkt auf den Westturm zu, um zu sondieren, ob man am nahe gelegenen Strand anlanden kann. Die Wellen werden allerdings immer höher und durch Steine am Ufer ist die Gemengelage zu unsicher. Wir drehen daher ab und peilen den Hafen an der Südseite Wangerooges an. Die Wellen kommen jetzt von der rechten Seite und schlagen immer heftiger gegen das Boot. Irgendwann rollt ein Exemplar mit einer Höhe von einem guten Meter heran, wie ich es noch nie direkt von der Seite bekommen habe. Im Näherkommen sehe ich, wie sich auf dem Wellenkamm immer mehr Luftblasen bilden und sich das Brechen schon deutlich abzeichnet. Vorhin fühlte ich mich bei meinen Stützübungen eigentlich gut gerüstet – also auch jetzt flache Stütze rechts. Im nächsten Moment wird es nass und die Sicht sehr getrübt. Meine erste unfreiwillige Kenterung und das dann natürlich auch bei entsprechendem Wellengang. Wie sicher schon hundertmal geübt, bringe ich das Paddel in Position für die Rolle, Paddelschlag und Hüftknick sitzen. Im nächsten Moment bin ich auch schon wieder an der Luft. Damit haben sich Hallentraining und Übungen auf dem Tegeler See schließlich bezahlt gemacht. Mich bei dem Wellengang wieder ins Boot zu bringen, wäre sicher nicht so einfach gewesen – da ist eine sichere Rolle Gold wert.

Keine drei Minuten später wiederholt sich das gleiche Spiel. Auch die weitere Welle bricht in unmittelbarer Nähe, meine Stütze taugt nicht und ich liege im Wasser. Hochrollen klappt erneut unproblematisch. Meine bessere Hälfte stützt ein paar Bootslängen weiter links jede Welle problemlos und schaut immer wieder verdutzt auf die Unterseite meines Bootes. Da ich einsehe, dass meine flache Stütze nicht funktioniert, nehme ich den dritten Brecher mit der hohen Stütze und pariere damit die Kraft der Welle problemlos. Ab jetzt beginnt das Spiel mit den Wellen erst richtig Spaß zu machen. Vielleicht macht sich auch ein wenig Übermut breit. Ich will eine der großen Wellen surfen. Dass ich im schlimmsten Fall wieder hochrollen kann, habe ich mir ja schon bewiesen. Also drehe ich auf Südost und lasse die Wellen von hinten kommen. Genau wie vorhin paddle ich mich auf Geschwindigkeit und erwische direkt eine großartige Welle. Ohne selbst noch Vortrieb geben zu müssen, klebe ich auf dem Wellenbauch und das Wasser drückt mich mit seiner gewaltigen Kraft voran. Ich muss nur mit dem Heckruder die Richtung korrigieren. Mein erster richtiger Surf lässt Wangerooge Hafeneinfahrt Ebbe Westturm Leuchtturmmich einen Freudenschrei ausstoßen. Jetzt geht es noch mit gehörigem Sicherheitsabstand um die Hafenbefestigungsanlagen und dann laufen wir in den gut geschützten Hafen ein. Nach dem ersten Anlanden zeigt sich mir nochmal die Kraft der Wellen, die mich haben kentern lassen: meine Reservepaddel haben sich aus ihrer Halterung teilweise gelöst und die Schleppleine, die ich um den Bauch trug, ist ein Opfer der Fluten geworden. Die Freude über die erste großartige Nordseetour trübt das nicht im geringsten.

Tag 2 – Spaß im Nass

Der nächste Paddeltag beginnt früh und windig. Wir setzen pünktlich gegen 9:30 Uhr unsere Boote ein und paddeln Richtung Spiekeroog. Um die Buhne H in gehörigem Abstand zu umschiffen, heißt es zunächst direkt gegen den 4er-Wind aus Süd-Südwest zu paddeln. Das gibt erneut Gelegenheit, einige Steuer- und Stützmanöver einzustreuen. An der Nordwestspitze von Spiekeroog erblicken wir ziemlich schnell Brandungswellen, die wir natürlich nicht links liegen lassen können. Schließlich sind wir zur Nordsee wegen genau solcher Bedingungen gekommen.

Seekajak Spiekeroog BrandungDie erste Brandungszone, die wir ansteuern, wird offenbar durch das auflaufende Wasser an einer flachen Stelle erzeugt. Am Vorabend haben wir sie schon mit dem Fernglas von Wangerooge aus erspäht und freuen uns, dass wir auch jetzt ein wenig Brandung erproben können. Spielerisch fahren wir immer wieder in die Wellen und testen, was sie mit dem Boot machen und wir in der Brandung anstellen können. Nach einiger Zeit steuern wir noch stärkere Brandung an der Nordseite von Spiekeroog an. Ich paddle munter drauf los, bis Catharina neben mir ruft, dass wir überhaupt nicht vorwärts kommen. Ich nehme eine Tonne rechts in den Blick, die die ganze Zeit über an der gleichen Stelle bleibt – die Brandungswellen ziehen uns also tatsächlich zurück. Auch noch so kraftvolle Ausbruchsversuche bleiben zunächst ergebnislos, bis irgendwann dann der Befreiungsschlag doch bei beiden funktioniert. Von dieser kurzzeitigen Kraftanstrengung ein wenig erschöpft, steuern wir gleichwohl weiter auf die nächste Zone zu.

Seekajak Spiekeroog BrandungHier locken deutlich höhere, brechende Wellen. Ich will vor allem die Scharte des gestrigen Tages auswetzen und begebe mich bewusst in ähnliche Situationen mit hohen, brechenden Wellen von rechts. Diesmal klappt die flache Stütze zumindest zufriedenstellend. Ich muss mir aber eingestehen, dass da noch ordentlich Luft nach oben ist. Deutlich besser klappt weiterhin die hohe Stütze, mit der ich mich wiederholt an einer Welle festmache und gefühlte Ewigkeiten zum Ufer tragen lasse. Die erfolgreichen Rollen vom Vortrag geben Sicherheit, immer wieder recht eindrucksvolle Wellen anzusteuern. Auch hier steckt ein Seehund seine Nase neugierig aus dem Wasser und beobachtet das Treiben.

Nach einer kurzen Pause queren wir nördlich der Buhne H zurück nach Wangerooge. Wind und Wellen drücken uns in Richtung Land und damit auf die Buhnen zu. An der Uferbefestigung sieht man imposante Wellen in die Höhe schlagen. Gero gibt einen fast nördlichen Kurs vor, der uns in gebührendem Abstand an der Gefahrenzone vorbeiführt. Als wir die Buhnen im Nordwesten von Wangerooge sicher umschifft haben, paddeln wir bei einigem Wellengang aber doch verhältnismäßig entspannt Richtung Osten. Schon recht früh am Tag hatten wir uns aus Sicherheitsgründen gegen eine Umrundung der Insel entschieden.

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So steuern wir Wangerooge Dorf für eine längere Pause an. Gero landet wie gewohnt zuerst an, was mir Gelegenheit gibt, noch ein, zwei Rollen zu probieren. Bei meiner eigenen Landung komme ich immer wieder in einen guten Surf auf den doch recht eindrucksvoll brechenden Wellen. Die Wellen kommen von schräg hinten und ich steuere mit dem Heckruder gegen. Knapp 30 Meter vor dem Land unterschneide ich offenbar und die Welle schmeißt mich ins Wasser. So langsam habe ich Übung mit solchen Situationen. Das Paddel ist durch das Heckruder schon in der richtigen Haltung, schnell zur Rolle angesetzt und schon bin ich wieder oben und keine zwei Sekunden später auf der nächsten Welle. So bekommen die Wangerooger Nachsaisonler etwas Action für ihre Kurtaxe geboten. Seekajakfahren ist großartig!

Seekajak Wangerooge Bootswagen Uferbefestigung BuhneNach einer Pause mit Kaffee, Kuchen und Ausblick vom Leuchtturm schlüpfen wir wieder in die klammen Trockenanzüge und treten die Rückfahrt Richtung Westen an. Wind und Wellen haben sich zwischenzeitlich spürbar beruhigt. Trotzdem landen wir sicherheitshalber vor Buhne H an und schauen uns zunächst das Gatt aus der Ferne an. Zwischenzeitlich läuft das Wasser leicht ab, die Situation erscheint aber gut beherrschbar. Die Entscheidung für Paddeln statt Rollern fällt schnell und einstimmig. Tatsächlich ist das Umfahren der Buhne und anschließende Zurückpaddeln recht unspektakulär. Vor dem Anlanden darf natürlich das obligatorische Abschlussrollen nicht fehlen und Catharina legt bei dieser Gelegenheit ihre ersten beiden perfekten Nordseerollen hin. Nach einem spannenden und lehrreichen Tag rollern wir nun zufrieden zurück zum Westturm.

Tag 3 – Träumen bei Brot und Butter

Der dritte Tag begrüßt uns wieder mit Windstärken um die 5 aus Süd-Südwest. Dummerweise führt uns unser Kurs ebenfalls nach Süd-Südwest. Da wir auf dem Festland Unterstützung zum Holen des Autos bekommen, wählen wir als Ziel das näher gelegene Harlesiel. Das bedeutet aber immer noch knapp 11 km. Zwar hilft uns der Tidenstrom, aber der Wind ist gegen uns.

Wangerooge Watt FischkutterWir sitzen pünktlich um 10:30 in den Booten und fahren noch ein kurzes Stück Richtung Hafen Wangerooge. Das führt uns an der Stelle vorbei, bei der mich der Wellengang am ersten Tag hat kentern lassen. Heute ist das Wasser ebenfalls gut in Bewegung, im Gegensatz zu zwei Tagen vorher paddlerisch aber eher einfach. Heute ist die größte Anstrengung klar das Paddeln gegen den Wind. Hier rentiert sich das Feilen an der Technik und das Training durch viele Süß- und Salzwasserkilometer. Immer wieder achte ich bewusst auf das ein oder andere Detail meines steten Grundschlags.

Seekajak Leitdamm HarlesielDas Fahren in die Sonne und das Festland im Dunst tuen ihr Übriges für eine meditative Stimmung. Solch eine großartige See-Athmosphäre bräuchte es eigentlich viel häufiger. Leider ist dies von Berlin aus aber nicht allzu häufig möglich, damit das Seekajakfahren nicht endgültig zum Motorsport wird. Wir paddeln deutlich außerhalb des Fahrwassers bis zum Leitdamm Harlesiel und lassen Fischerboote, Ausflugsdampfer und Fähren passieren. Pünktlich wie die Maurer landen wir eine Stunde vor Hochwasser in Harlesiel an.

Fazit

Auch wenn Gero immer wieder über mein Paddel gelästert hat – das Wort Zahnstocher war sehr präsent – bin ich noch nicht bereit einzusehen, dass nicht vielmehr der Paddler an den Kenterungen Schuld war. Die Inuit sind schließlich auch nicht ausgestorben und haben es sicher mit höheren Wellen zu tun. Die Erfahrung dieses Wochenendes zeigt mir aber, dass ein wichtiges Ziel für die nächste Zeit eine sichere flache Stütze sein wird. Sehr sicher bin ich mir zudem, dass ich unter Seebedingungen mit meinem Europaddel nicht so zuverlässig hochgerollt wäre.

Wangerooge Hafen Pricke VögelZu danken ist Gero für seine besonnene und instruktive Führung dieser Tour. Dank wirklich großartiger Vorbereitung und Umsetzung haben wir unsere erste Nordseefahrt sehr erfolgreich gemeistert. Die ständige Sicherheit, dass Gero die Situation im Blick hatte, gab uns viel Gelegenheit, die eigenen Fähigkeiten zu testen und daran zu feilen. Diese drei Tage haben uns viel Lust auf Meer gemacht. Insbesondere in der Brandung hätte ich den ganzen Tag verbringen können – zumindest von der Lust her. Und der Muskelkater in den Bauchmuskeln gibt das gute Gefühl, dass die Fahrt neben einem gehörigen Lerneffekt auch noch Trainingsaspekte hatte.

Gero meinte irgendwann: „Wegen solcher Fahrten fährt man immer wieder zum HKC und zurück“ – Recht hat er.

Nachklapp: Gero hat die Tour auf seinem Blog zirpelspinner.me ebenfalls geschildert.