„Ich fahre nach Süden“ antworte ich dem fragend schauenden Anhalter. „Mit dem Surfkajak?“ entgegnet er ungläubig. Guter Mann! Trotzdem muss er allein sehen, wie er nach Hamburg kommt. Es geht nach einer gefühlten Ewigkeit tatsächlich mal wieder ins Wildwasser. Ohne Grönlandpaddel – dafür mit meinem neuesten Boot im Stall, dem Necky Jive. Seiner Vorbesitzerin habe ich erst vor ein paar Wochen zugesichert, dass er in gute Hände kommt.
An diesem Wochenende fahren wir nun gemeinsam ins Erzgebirge. Die Sportfreunde vom SC Berlin-Grünau organisieren seit Jahrzehnten im März eine Fahrt auf erzgebirgischen Wildflüssen. Weil es in diesem Jahr kaum Schmelzwasser gibt und auch der Regen zu wünschen übrig ließ, sind wir auf Zuschusswasser aus der Talsperre Rauschenbach angewiesen, damit wir überhaupt fahren können. Zwei der geplanten Touren müssen leider ganz ausfallen – trotzdem war die unterhaltsame Fahrt auf der Flöha die Anreise auf jeden Fall wert.
Nachklapp: Beim SCBG gibt es zur Fahrt ebenfalls einen Bericht.
Himmelsrichtungen sind ja relativ: was für Berliner im Norden liegt und Ostsee heißt, ist für Dänen der Süden. Die Dänische Südsee – also die Region zwischen Fyn und Ærø – ist ein ideales Gebiet für fortgeschrittene Paddler, die erste Seekajakerfahrung sammeln wollen. Von Deutschland aus, ist beispielsweise Faaborg mit dem Auto und den Kajaks auf dem Dach gut zu erreichen. Von dort aus kann man bequem Inselhopping nach Lust, Laune und verfügbarer Zeit betreiben. Die zahlreichen Inseln des südfünischen Inselmeers können meist bequem auf Sicht gefahren werden. Dennoch empfiehlt sich an Kompass an Bord, unter anderem um dem ein oder anderen Vogelschutzgebiet auszuweichen. Diese und die freien Übernachtungsplätze sind in einer vor Ort oder im Internet erhältlichen Freizeitkarte eingezeichnet, auf der sich beispielsweise auch Wanderungen als Ausgleichsprogramm finden. Jede Insel hat ihren eigenen Charme von viel Natur mit verträumten Fachwerkdörfern bis zu Svendborg und Marstal – zwei Städtchen mit langer, dänischer Seefahrertradition – findet sich für jeden Geschmack etwas. Leseempfehlung für unterwegs: Carsten Jensen, „Wir Ertrunkenen“ – eine dänische Familiensaga über eine Seefahrerfamilie aus Marstal mit hohem Wiedererkennungsfaktor von Region und deutscher Ostseeküste.
Es ist vierter Januar, höchste Zeit für Salzwasser unter dem Kiel. Angesagt ist Windstärke 4 aus Südwest, auffrischend und im Laufe des Tages auf Südost drehend. Wir haben uns daher am Vorabend nicht für die klassische Route der alljährlichen Eisbärentour von Travemünde nach Wismar entschieden, da die letzten Kilometer – insbesondere die Querung der Wohlenberger Wiek – bei dem Wind zu anstrengend erscheinen. Vielmehr wollen wir es uns leicht machen und mit dem Wind im Rücken von Wismar aus nach Rerik paddeln. Nebeneffekt: zwei Stunden mehr Schlaf.
Los geht es also kurz nach neun Uhr. Der Hafen von Wismar verströmt in der aufgehenden Sonne eine gehörige Portion Industrieromantik. Wir halten auf die Insel Poel zu und kommen bei milden Temperaturen und angenehmem Sonnenschein ganz erwartungsgemäß aus dem Surfen gar nicht mehr raus. Die Wellen schieben uns plangemäß mit ordentlichem Tempo genau auf die Brücke zwischen Poel und Festland. Nachdem Poel und die ein oder andere flache Stelle passiert sind, hoffen wir an der Seeseite der Halbinsel Wustrow auf weitere Surfwellen.
Dort erwarten uns aber nur Dünungswellen, bei denen ich mich schon sehr anstrengen muss, will ich sie erwischen. Einmal geschafft, rollt die Welle auch viel zu schnell ohne mein Seekajak weiter. Nichtsdestotrotz kommen wir flott voran und Kirchturm nebst Seebrücke von Rerik schnell in Sicht. Nach gut vier Stunden knirscht zum ersten Mal in diesem Jahr der Ostseestrand unter meinem Boot. Herrlich.
Am Neujahrsmorgen vor Sonnenaufgang ins Kajak steigen – bei null Grad Luft- und drei Grad Wassertemperatur – klingt für viele Paddler nach ziemlichem Unsinn. Vom gemeinen Nichtpaddler gar nicht erst zu reden. Wenn man diese Denkhürde aber erst einmal übersprungen hat, wird man mit einer grandiosen Tour in den ersten Sonnenstrahlen des neuen Jahres belohnt. Und wenn alles glatt läuft, gibt es auch noch eine große Portion Rührei sowie ein Jahr lang unbezahlbaren Ruhm.
Nach dem in mehrfacher Hinsicht misslungenen Versuch vom letzten Jahr sollte auch das Jahr 2014 mit einem sympathischen Wettbewerb beginnen: demjenigen, der mit einem Paddel- oder Ruderboot als erster im neuen Jahr beim „Gasthaus zum Weißen Schwan“ aufschlägt, winken gebratene Eier auf’s Haus und ein Ehrenplatz auf einer Tafel an der Wand. Das Unterfangen wird von den Kombattanten kreativerweise „Eierfahrt“ genannt. Die grundlegende Taktik in Kürze: wenn die Havel nicht zugefroren ist, ist man am 2. Januar in der Regel zu spät. Auch allzu lange nach Öffnung des Schwans sollte man nicht ankommen. Paddelt man – wie die vier diesjährigen TKVler – ab Tegel, hat man knapp 17 km vor sich und muss dementsprechend früh losfahren.
Mussten wir uns im letzten Jahr noch den Rückwärtsfahrern vom Ruderverein Birkenwerder geschlagen geben, setzen wir in diesem Jahr zum fulminanten Rückschlag an. Als wir den weißen Schwan erreichen, sind wir sowas von die ersten Gäste. Mit einem zu einfachen Sieg geben wir uns nach der letztjährigen Schmach natürlich nicht zufrieden und beschließen den Ruderern entgegen zu paddeln. Als wir sie um die Kurve kommen sehen, drehen wir, setzen zum Sprint an… Der Rest ist Geschichte.
Beim gemeinsamen Scherzen am Bootssteg über unseren Triumph und mögliche Taktiken für das nächste Jahr dämmert es so manchem, dass heute möglicherweise ein Wettrüsten begonnen wurde, das Potenzial für so manche Skurrilität hat. Aber was tut man nicht alles für eine große Portion Rührei, ein Jahr lang Ruhm und grummelnde Ruderer.
Die Mecklenburger Seenplatte ist ein herrliches Paddelrevier – vor allem, wenn man es sich nicht mit Motorbooten oder Horden anderer Touristen teilen muss. Eine ausgezeichnete Gelegenheit dafür bietet die herbstliche Tour des TKV, die seit ein paar Jahren Mitte November auf der „Alten Fahrt“ stattfindet. Das bedeutet zunächst, dass der Wecker wieder mal sehr früh klingelt, eine längere Autofahrt bevorsteht und alle Teilnehmer gut gelaunt in Vipperow in die Trockenanzüge steigen.
Der frühe Vogel wird mit einem 35 km langen Rundkurs belohnt, der im Herbst ein beeindruckendes Naturerlebnis bietet. Von Vipperow aus geht es nördlich auf die Müritz, die sich regelmäßig in dichten Nebel hüllt. Im Bolter Kanal beginnt die eigentliche „Alte Fahrt„, ein Abschnitt der Seenkette, der von der Schifffahrt nicht mehr genutzt wird und konsequenterweise in weiten Teilen für den Motorbootverkehr gesperrt ist. An einem kühlen Novembermorgen ist dort auch sonst niemand, sodass die Ruhe perfekt ist. Das Glück, dass in Granzow die Mittagspause durch ein wärmendes Lagerfeuer gekrönt wird, hat man zugegebenermaßen nicht immer. Der Schleusenwärter in Mirow ist allerdings stets gern bereit, den Paddlern in dieser Jahreszeit die Umtragung zu ersparen. Zurück geht es flott und gegen die einbrechende Dunkelheit anpaddelnd über den Müritz-Havel-Kanal nach Vipperow. Auf der Heimfahrt sind sich Jahr für Jahr alle Teilnehmer einig, dass dies eine ganz besondere Fahrt ist.
Verbandsfahrten muss man mögen. Bei solchen mit jahrelanger Tradition hilft es, von Anfang an dabei gewesen zu sein. Die Nebel-Oder-Fahrt veranstaltete die SG Aufbau Eisenhüttenstadt 2013 zum 38. mal. Die zweitägige Fahrt führt auf der Oder von Eisenhüttenstadt über Bleyen nach Hohenwutzen. Links Brandenburg, rechts Polen ist die herbstliche Landschaft ein großer Genuss. Großer Nachteil ist der enorme logistische Aufwand am An- und Abreisetag. Von Berlin aus muss man mit eigentlicher Fahrt und Shuttle zwischen Start und Ziel fünf Stunden einplanen. In denen käme man auch bis nach Neuharlingersiel – und bis zur Ostsee allemal.
Wichtigste Eigenschaft von kleinen Touristenorten rund um den Globus scheint zu sein, dass es vier bis fünf standardisierte Angebote für Tagesausflüge und -aktivitäten gibt, aus denen der Katalog jedes Anbieters vor Ort besteht. In Tofino, an der Westküste Vancouver Islands, sind dies Whale- und Bearwatching, eine Fahrt zu den heißen Quellen der Region und eine Kajaktour zu Inseln in der näheren Umgebung. Oder wie es ein anderer Gast in unserem Hostel ausdrückte: „Alles in diesem Ort ist so gestaltet, dass Du schnellstmöglich von Deinem Geld getrennt wirst.“ Daneben ist Tofino aber ein großartiges Städtchen, in dem einen der Mix aus beeindruckender Natur und coolem Surferstyle in seinen Bann zieht.
Wir haben uns für eine dieser geführten Kajaktouren auf der Landinnenseite entschieden, da der Preisaufschlag zur Leihe der Kajaks für eine Tour auf eigene Faust nicht die Welt betrug und wir guter Dinge waren, so um die Tidenplanung herumzukommen und ein wenig mehr über die Gegend zu erfahren. Diese Hoffnung hat sich mehr als bestätigt. Unser Tourguide von Tofino Seakayaking war Feuer und Flamme für die 1984er Umweltschutzbewegung, die auf Meares Island bei Tofino ihren Ursprung hatte. Seine Naturverbundenheit gab uns zudem die Gelegenheit, mehr über die Tier- und Pflanzenwelt der Region zu erfahren, die wir bei unserer eigenen Tour im Norden von Vanvouver Island nicht immer hundertprozentig zuordnen konnten.
Zudem habe ich noch Tourenideen für die Gegend bekommen, falls wir mal wieder in der Gegend sind und mehr Zeit mitgebracht haben:
Eine längere Mehrtagestour kann durch den Clayoquot Sound rund Meares Island gepaddelt werden. Unterwegs gibt es Dörfer der First Nations, verschiedene Trails durch den Regenwald und heiße Quellen als Rahmenprogramm.
Auch die Broken Islands wurden uns mehrfach ans Herz gelegt, weil man je nach Wetterlage auf die offene See oder in geschützte Inselregionen paddeln kann.
Von beiden Regionen gibt schöne Karten mit eingezeichneten Biwakplätzen und den übrigen touristischen Highlights von WaveLength, die man vor Ort oder online beziehen kann.
„Wir hatten gehofft, ein paar Wale zu sehen…“ „Dann macht Eure Planung keinen Sinn. Ihr werdet lange paddeln und nichts sehen, das größer als ein Seehund ist. Europäer“, so lernen wir, „paddeln weite Strecken, um etwas zu sehen. In Kanada zählt die Zeit auf dem Wasser. Dort wartest Du, bis die Natur zu Dir kommt.“ Und unser Kajak-Verleiher hat Recht. Die Natur kommt in der Johnstone Strait an der Nordküste von Vancouver Island. Wir nehmen uns seine Empfehlungen und Tipps zu Herzen und werden in den nächsten Tagen viel Natur erleben. Einen weiteren wichtigen Punkt nehmen wir auch gleich noch mit, als ich nach einem Tidenkalender frage, um unseren genauen Startzeitpunkt zu planen. Tide und Strömung sind hier vor Ort nicht identisch, laufen sogar entgegengesetzt. Jeweils bei Hochwasser und Niedrigwasser ist die Strömung an den Passagen zwischen den Inseln am größten – bis zu 10 Knoten, wie uns der Strömungskalender verrät. Und genau dann ist dort die höchste Wahrscheinlichkeit, Wale bei der Jagd zu treffen. Mit diesem Wissen im Gepäck und einer Handvoll guter Zeltplätze vor Augen geht es los.
Als wir die Bucht von Telegraph Cove verlassen, bietet sich ein Anblick, der uns die nächsten Tage über begleiten wird. Wo eben noch eine Gruppe von Inseln lag, ist jetzt eine dichte Suppe aus Nebel. Der soll hier im September morgens üblich sein. Das wiederum ist glatt gelogen. An Tageszeiten hält er sich definitiv nicht und arbeitet mindestens auf einer Vollzeitstelle. Lange Querungen vermeiden wir daher zunächst und hangeln uns von Insel zu Insel. Wie in Zukunft häufiger sind es auch jetzt die Geräusche, die uns auf die Meeresbewohner hinweisen. Ein ziemlicher Lärm umgibt eine Felseninsel, auf der sich eine große Kolonie von Seelöwen niedergelassen hat. Vor der Insel gibt es immer wieder ein lautes Schnaufen und Prusten aus dem Wasser, sodass wir schon glauben, unseren ersten Wal vor dem Bug zu haben. Es stellt sich jedoch heraus, dass Seelöwen nahezu die gleichen Geräusche von sich geben – nur eine Spur leiser. Auch vor unserem ersten Übernachtungsplatz zieht abends ein Seelöwe solange seine Runden, bis für uns das Schnaufen fast selbstverständlich geworden ist. Als es jedoch irgendwann von der anderen Seite der Insel kommt, wagen wir doch einen Blick um die Ecke und sehen, dass wir beinahe unsere erste Walsichtung verpasst hätten. Dort taucht eindeutig kein Seelöwe auf und ab, sondern ein viel größerer Meeressäuger. Leider verschwindet er jedoch nur allzu bald im dichter werdenden Nebel.
Am nächsten Morgen und bei wesentlich besserer Sicht ist der Trubel vor unserer Insel umso größer. Immer wieder „stören“ uns Wale bei den üblichen Morgenbeschäftigungen. Zwei Grauwale tauchen immer wieder auf und ab. Nachdem sie endlich weiter gezogen sind, können auch wir zu Ende frühstücken und in unseren Kajaks eine entspannte Tagestour durch die westlichsten Inseln des Broughton Archiopelago angehen. Der ein oder andere Seehund beäugt uns erst misstrauisch, beschließt dann aber doch, sich lieber weiter faul treiben zu lassen. Irgendwann ziehen wir die Aufmerksamkeit eines Delphins auf uns, der vor und hinter uns auf und ab taucht. Das Wasser ist so klar, dass man ihn unter uns hindurch tauchen sehen kann. Nachdem er sich verzogen hat, geht es für uns weiter, nur um zwischen den nächsten Inseln eine ganze Gruppe von Delphinen zu sehen. Hier ist die Strömung stärker und die Herde jagt offensichtlich. Wir lassen uns treiben und genießen das Schauspiel. Es gelingt sogar der ein oder andere gute Schnappschuss. Als wir auf dem Rückweg kurz vor unserer Insel ankommen, erleben wir das erste Mal einen Wal aus ziemlicher großer Nähe. Ein Buckelwal taucht immer wieder auf und ab und beginnt irgendwann mit der Schwanzflosse auf das Wasser zu schlagen. Ein wenig mulmiger wird uns, als er irgendwann in unsere Richtung abdreht und keine zwanzig Meter vor unseren Booten auf- und wieder abtaucht. An Land angekommen, werden wir obendrauf noch Zeuge eines besonderen Schauspiels. Zwischen den Inseln bilden sich plötzlich eigenartige Wellen. Diese, stellt sich heraus, sind in Wirklichkeit mehrere Dutzend Delphine, die hintereinander in Reihe in die Bucht schwimmen. Dort angekommen schwimmen sie ab jetzt parallel nebeneinander und gehen in Formation auf die Jagd. Gegen diese Gruppe ausgeklügelter Strategen dürfte ihre Beute wenig Chancen haben. Pünktlich zum Sonnenuntergang krönen noch zwei weitere Buckelwale unseren Tag, die in der Passage offenbar umeinander buhlen, indem sie auf und ab springen. Der Hall sorgt zwischen den Inseln dafür, dass das Klatschen klingt wie Silvesterfeuerwerk. Nachdem die gestrige Sichtung nett war, aber keinen großen Eindruck hinterlassen hat, besteht heute Einigkeit über die Erhabenheit der hiesigen Meeresbewohner.
Auch der nächste Tag hält einiges an Natur bereit. In den letzten Tagen haben wir immer viel dafür getan, keine Bären anzulocken. Heute haben wir das Glück, vom Boot aus einen am Strand beobachten zu können. Leider zieht immer wieder Nebel auf, sodass wir Wale zwar immer wieder hören – vor allem die „Pfeiftöne“ der Buckelwale. Zu sehen sind sie allerdings nur selten. Einzig am Abend beginnt ein Buckelwal direkt vor unserer Insel auf und ab zu springen. Vor der Kulisse der Inseln gibt das ein beeindruckendes Bild ab. Irgendwann zieht aber auch heute der Nebel wieder zu und es weisen nur noch die Geräusche auf das muntere Treiben des Wales hin.
Auf der Rücktour zum Ausgangspunkt erwischt uns endgültig der Nebel. An beiden Paddeltagen ist er häufig so dicht, dass wir soweit es geht unter Land bleiben und die Passagen so kurz wie möglich halten. Durch die Strömung sind wir aber zeitlich einigermaßen festgelegt, sodass wir sie irgendwann doch angehen müssen. Als Orientierung für Richtung und Vorhaltewinkel bleibt uns nur die Sonne, die an Backbord durch den milchigen Nebel scheint. Jetzt sorgen die Geräusche der Wale im Nebel eher für eine gespenstische Stimmung. Nach sicherer Ankunft im Hafen von Telegraph Cove bleibt die Erinnerung an beeindruckende Naturerlebnisse – trotz oder gerade wegen des Nebels.
Vor längerem habe ich mal in einer Kanuzeitschrift einen Bericht über eine Paddeltour von Berlin nach Hamburg gelesen – mehrfach dann selbst in Erwägung gezogen. Ich bin aber nie über das Ideenstadium hinausgekommen. Was es braucht, ist schlicht eine Gelegenheit. Schließlich habe ich an einem Samstag im September einen „Termin“ in Cuxhaven – ein Kind will getauft werden. Die zwei Wochen vorher habe ich frei. Der Plan drängt sich auf, mit Muskelkraft anzureisen.
Am Samstagmorgen, zwei Wochen vor der Taufe, steige ich also wie gewohnt am Schwimmsteg des TKV ins Boot. Irgendwie ist es noch relativ unwirklich, dass ich von dort nicht die übliche kleine oder große Runde vor mir habe und nicht ein paar Stunden später das Boot wieder ins Regal räume. Heute ist das Boot bis in die Spitzen beladen, liegt tief wie noch nie und ist zudem völlig hecklastig. Das ist bei dem Wind nicht wirklich angenehm, weil sich das Boot ständig dreht. Ich bin aber viel zu sehr in Aufbruchsstimmung, als dass ich das jetzt nochmal umpacken würde. Die bessere Verteilung des Gewichts soll sich in den nächsten Tagen einstellen und die Ladung wird ja ebenfalls immer weniger. Catharina begleitet mich noch auf den ersten Kilometern, dreht dann aber um und ich bin auf meiner ersten Solotour. Seit dem Hiddenseemarathon bin ich nicht mehr wirklich viel gepaddelt. Ich bin aber recht zuversichtlich, dass sich die Paddelkondition wieder schnell einstellen wird. An der Schleuse Spandau ist der Havelkilometer 0 angeschlagen. Die nächsten Tage soll diese Zahl auf meinem Weg kontinuierlich steigen. Unterwegs komme ich mit mehreren Paddlern ins Gespräch über Grönlandpaddel und verschiedene Marathonveranstaltungen. Einer fragt mich, ob ich ihm mal kurz mit einer Karte aushelfen könne, damit er sich nochmal wegen seines nächsten Abzweigs rückversichern kann. Aus meinem beeindruckenden Stapel laminierter Karten reiche ich ihm die oberste und erkläre auf seinen fragenden Blick hin nur: „Ich will zur Nordsee.“
Am ersten Abend in Ketzin habe ich die Gelegenheit, die neuen Teile meiner Ausrüstung endlich unter realen Bedingungen einzuweihen. Insbesondere auf meinen Hobo habe ich mich gefreut. Bewusst habe ich sonst keinen Kocher mitgenommen und werde die nächsten zwei Wochen nur auf offenem Holzfeuer kochen. Das stellt sich als schwieriger heraus als zunächst gedacht. Aber irgendwann gewöhne ich mich auch an die Hitzeregulierung und genieße die ersten Spaghetti mit Thunfisch dieser Tour bis mich die Mücken ins Zelt treiben.
Nach ein paar guten Eierkuchen zum Frühstück geht es früh am nächsten Morgen weiter flussabwärts. Im ständigen Wechsel von absolut unberührter Natur und vereinzelten Siedlungen schiebe ich mich die Havelbuchten entlang. Hat sich eben noch eine kleine Ringelnatter weggeschlängelt, fahre ich jetzt schon in Brandenburg ein. Gerade auf den größeren Seen erzeugt der Wind auch heute noch ordentliche Wellen – aber jetzt ist mein Boot wesentlich besser getrimmt und das Seekajak ist in seinem Element. Abends gönne ich mir auf einem Zeltplatz eine heiße Dusche und in der benachbarten Gaststätte ein Schnitzel. Völlig untypisch sind die Dauercamper durchgehend freundlich.
Der nächste Morgen beginnt mit einem beeindruckenden Naturschauspiel: ein großer Schwarm Wildgänse lässt sich mit lautem Geschnatter auf der Havel nieder. Einmal mehr hat sich das frühe Aufstehen zum Sonnenaufgang gelohnt. Die Mittagspause verbringe ich heute unter dem Schild von Havelkilometer 100. Die herrliche Sonne soll genutzt werden, um mit dem mitgebrachtne Solarpanel mein Handy aufzuladen. Die passenden Kabel sind natürlich nicht dabei, sodass ich noch eine kleine Shoppingtour in Rathenow einlege, bevor es mit einem Liter Mezzomix in der Tagesluke zielstrebig weiter geht. Durch Zufall entdecke ich in Gütz einen sehr gut ausgestatteten Biwak-Platz, der offenbar so neu ist, dass er nicht in meiner Karte eingezeichnet ist. Jeder in dem Örtchen scheint sich für den reibungslosen Betrieb mitverantwortlich zu fühlen, sodass einige sehr nette Gespräche entstehen.
Ganz großes Kino ist für mich die Selbsbedienungs-Kahnschleuse hinter Gütz. Völlig im Handbetrieb müssen die Schleusentore geöffnet und geschlossen werden, während das Kajak sorgsam vertaut in der Schleusenkammer treibt. Hätte ich kein Ziel vor Augen, würde ich mich hier glatt ein paar Tage als Schleusenwärter verdingen. Stattdessen genieße ich am Abend die Gastfreundschaft der Ruderriege Havelberg und nutze die Gelegenheit zu einem längeren Stadtspaziergang bei Gyros und Eis.
Schleusen gehören auf dieser Tour zum täglichen Geschäft. Immer wieder heißt es warten, bis sich die Schleusentore öffnen. Der Griff zum Telefon und Anruf in der Fernbedienzentrale wird langsam zur Gewohnheit, bevor häufig nur für mein kleines Kajak Millionen von Litern Wasser bewegt werden. Heute steht mein letzter Anruf in der Fernbedienzentrale Rathenow an. Und zum ersten Mal geht es aufwärts. Hinter der Schleuse Havelberg wartet die Elbe.
Ab jetzt kommt ordentlich Strömung ins Spiel. Auch ohne zu paddeln, treibt der Strom mich mit 4 bis 5 km/h voran. Trotz des zunehmenden Gegenwinds komme ich daher gut voran. Die Mittagspause nutze ich heute für einen kleinen Spaziergang durch das Storchendorf Rühstedt. Die Bewohner haben ihr Dörfchen recht beschaulich hergerichtet und auf jedem zweiten Dach findet sich ein Storchennest. Das dortige Geschehen wird sogar ins Internet übertragen. Auch wenn ich keinen einzigen Storch sehe, hält die Vogelwelt an der Elbe einiges bereit. Überall am Elbestrand lagern unzählige Schwärme von Gänsen und Seeschwalben auf ihrem Weg ins Winterquartier. Diese Idylle trübt kaum ein Boot. Außer ein paar Kuttern, die Instandsetzungsarbeiten an den Tonnen verrichten oder die Fahrrinne ausbaggern, sehe ich keine Wasserfahrzeuge. Mittlerweile in Niedersachsen eingelaufen, genieße ich beim Biwak in Schnackenburg den ersten Abend an der Elbe.
Der nächste Morgen hält eine gigantische Stimmung bereit. Das gegenüberliegende Ufer verschwindet völlig im Nebel. Auch die Umrisse von Schnackenburg schauen nur noch vereinzelt aus einer Watteschicht hervor. Die Sonne scheint sich immer wieder durch die Nebelschwaden zu fressen, bevor es sich anschließend wieder richig zuzieht. Die Orientierung am Tonnenstrich klappt ziemlich gut, rechts und links sehe ich aber nicht wirklich viel.
Nach der folgenden Nacht auf dem Campingplatz Elbestrand treffe ich Jürgen. Er ist von Dresden aus unterwegs, nachdem er vorher den Rhein runter gepaddelt ist. Er will noch bis Lühesand und dort „richtig Urlaub machen“. Er hat gute Tipps parat, vor allem für eine schöne Aussichtsplattform in Boizenburg, von der ich bei der Mittagspause einen großartigen Panoramablick über die Elbe genieße. In Lauenburg fülle ich unter anderem meine Haribo-Vorräte wieder auf ein erträglich Maß auf. Jetzt befinde ich mich in Schleswig-Holstein, wie mir vertraute Gesichter auf den Wahlplakaten verraten. Ab Boizenburg nimmt die Strömung der Elbe spürbar ab – dafür der Verkehr vor allem hinter der Mündung des Elbe-Seitenkanals spürbar zu. Ich treffe Jürgen wieder auf der Zeltwiese des KC Geesthacht.
Am nächsten Morgen lassen wir es sehr ruhig angehen. Wie üblich bin ich zwar zum Sonnenaufgang wach. Hinter der Schleuse Geesthacht ist die Elbe allerdings Tidengewässer, sodass man gegen auflaufendes Wasser wenig Spaß hat. Wir planen den Aufbruch so, dass wir eine Stunde vor Hochwasser hinter der Schleuse sind, durch die wir mit einigen beeindruckend dicken Schubverbänden und zahlreichen Sportbooten geschleust werden. Bei einer ungeschickten Bewegung in der Schleuse zerre ich mir einen Nackenmuskel, der mir schon das ein oder andere mal Probleme gemacht hat. Die kommenden Kilometer werden also recht unentspannt. Das eher mäßige Wetter mit dichten Wolken, gelegentlichen kurzen Schauern und vor allem stärkerem Gegenwind tut sein Übriges. Immerhin haben wir zwischenzeitlich Hochwasser gehabt. Wir paddeln also nicht mehr gegen eine leichte Strömung – vielmehr hilft sie zunehmend.
Lange ist der Landschaft nicht anzumerken, dass ich auf eine Großstadt zu paddle. Vieles erscheint vom Wasser aus naturbelassen und die gelegentlichen Gebäude könnten auch zu jeder anderen Stadt an der Elbe gehören. Erst nach verschiedenen Windungen kündigen Teile der Skyline und diverse Kräne den Hamburger Hafen an. Direkt am Bau der Elbphilharmonie liegt die Queen Mary 2 vor Anker und zieht die Blicke der Ausflügler auf ihren Barkassen auf sich. Dort wird es zudem richtig wellig – Vierer-Wind von vorn trifft auf Vierer-Strömung von hinten. Ich biege Richtung Schaartorschleuse. Entgegen anfänglicher Befürchtungen werde ich trotz fortgeschrittener Stunde und Großveranstaltung auf der Binnenalster noch geschleust. Über Alster und Isebekkanal geht es zu gastfreundlichen Freunden, wo ich das Wochenende verbringen will. Unvermittelt kommen mir Zeilen des Klassikers von Lotto King Karl ins Gedächtnis: „Wenn Du von Süden kommst, ist Hamburg direkt vor Grönland. Wenn du aus der Hauptstadt kommst, möchtest du hier gar nicht mehr weg.“
Weggewollt hätte ich zwei Tage später schon. Aber bei einer prognostizierten Windstärke 5, in Böen 7, und die Aussicht das im Hamburger Hafen zu erleben, hat dann doch zur Abwechslung mal die Vernunft gesiegt. Dafür geht es am nächsten Morgen richtig früh los. Wieder hängt die gesamte Tagesplanung am Tidenverlauf. So rollere ich eine Stunde vor Sonnenaufgang aus der Tiefgarage meiner Gastgeber und gleite um sechs Uhr über den spiegelglatten Isebekkanal wieder Richtung Alster. Gegen acht passiere ich Rathaus und die dortigen Schleusen, bevor es dann endlich in den Hafen und damit zurück auf die Elbe geht. Hier ist es heute morgen noch vergleichsweise ruhig. Trotzdem halte ich mich vorschriftsmäßig zwischen Landungsbrücken und Ufer. Die Elbe hat hier ziemlich guten Wellengang. Nachdem ich am Wochenende aber viel nun unnützes Gepäck gegen meine Paddeljacke eingetauscht habe, fühle ich mich in meinem Boot seetüchtig und strebe erwartungsfroh weiter der Nordsee entgegen. So paddle ich bis zu Niedrigwasser und schon einsetzender Gegenströmung bis Wedel, wo ich dann eine längere Zwangspause einlege, Mittag esse, lese und den vorbeifahrenden Containerfrachtern zusehe. Jedes Schiff bekommt nach einem Tusch seine Nationalhymne gespielt (die Handeslflotte von Liberia ist ziemlich beeindruckend!) und den Spaziergängern und Gaststättenbesuchern werden Fakten zum Schiff, seiner Route angesagt. Die Ansage „Die 5,20 Meter lange Serenity aus der Valley-Werft in Nottingham verbraucht 2 Liter Mezzomix auf 100 km und transportiert Ingwer und Haribo Colorado von Berlin an die Nordseeküste.“ muss ich aber wohl verpasst haben.
Ursprünglich hatte ich geplant, heute bis Lühesand zu paddeln. Wegen des anhaltenden Schietwetters und der zeitlich eher ungünstigen Tiden beschließe ich aber eher mehr Strecke zu machen, um zum Ende der Woche noch ein paar schöne Tage in Cuxhaven verbringen zu können. Immer wieder gleiche ich Geschwindigkeit mit der Zeit bis zum Sonnenuntergang ab und steuere schließlich den Campingplatz Krautsand an. Der Campingplatz wirbt damit, direkt am Deich zu liegen. Was aber für Wasserwanderer in Wirklichkeit heißt: hinter (!) dem Deich. Nachdem die Räder meines Bootswagens immer wieder im nassen Sand feststecken, beginne ich irgendwann das Boot einfach ohne Wagen über den Sand zu ziehen, was wesentlich leichter ist. Keine zehn Pferde bekommen mich dazu, das Boot über den Deich zu tragen. Also wird es kurzerhand ins Gebüsch geschoben und nur das Nötigste für die Nacht auf den Zeltplatz getragen.
Auch der nächste Morgen beginnt früh, sehr früh. Ich will aber zumindest noch die letzten Stunden des ablaufenden Wasser mitnehmen. Vorbei am AKW Krümmel und der Mündung des Nord-Ostsee-Kanals geht es nach Brunsbüttel. Bei Niedrigwasser tue ich mich schwer, eine vernüftige Stelle zum Aussteigen zu finden. Nachdem ich aber mehrere Male meine Teva-Sandalen im Schlick festgetreten habe, mache ich endlich den beprickten Eingang zum Seglerhafen aus, den ich ansteuere und erstmal zu einer Grundreinigung von Boot, Kleidung und Ausrüstung ansetze.
Am frühen Nachmittag geht es endlich auf die letzte Etappe. Schon von weitem mache ich die Kugelbake an der Elbmündung in die Nordsee aus. Das Fahrwasser macht allerdings den ein oder anderen Schlenker, sodass die Bake nur sehr langsam größer wird. Schließlich geht es vorbei an Cuxhaven und den Kurgästen, die die großen Containerschiffe auf der Elbe bestaunen. Jetzt wird die Kugelbake und der kleine Strand daneben immer größer. Euphorie macht sich breit. Traditionsgemäß fische ich meine Nasenklammer aus der Schwimmweste. Been there. Done a roll.
An diesem Wochenende waren wir zu Gast in der Kanu-Vereinigung-Köpenick. Dort organisiert Rolf einmal im Jahr unter dem schönen Motto „Entdecke Deine Möglichkeiten“ eine Langstreckentour zur Großen Tränke und zurück. Den Paddlern im Nordwesten sagt das wenig und die Distanz schreckt erst einmal viele ab, vielleicht auch zweimal. 66 km im Boot stehen an. Wie bei zwei anderen Teilnehmern soll es auch bei mir die Generalprobe vor dem Hiddensee-Marathon sein.
Los geht es früh im Pulk über den Seddinsee Richtung Oder-Spree-Kanal. Dort heißt es erst mal wieder komplett sammeln, da nur in der Gruppe geschleust wird. Am Schleusenwehr stürzen sich uns beeindruckende Wassermassen entgegen. Auch im Kanal strömt es anschließend ordentlich. Dafür ist es allerdings schöner als gedacht. Der Kanal ist nicht schnurgerade und ziemlich grün. Zwischendurch beehrt uns sogar ein Otter, der vor unseren Booten den Kanal queren will, sich dann aber doch mit einem eindrucksvollen Platschen in die Tiefe verabschiedet. Nach gut 20 km im Kanal liegt dann recht idyllisch die ehemalige Schleuse „Große Tränke“. Hier heißt es normalerweise Umsetzen. Allerdings steht heute das Wasser so hoch, dass das Wehr problemlos überfahren werden kann. Nach einer Snackpause geht es auf den noch schöneren Teil der Strecke.
Die Müggelspree windet sich von hier aus Richtung Berlin. Weitestgehend naturbelassen findet man direkt vor den Toren Berlins ein kleines Paradies für Wasserwanderer. Die vom Biber und den Stürmen der letzten Tage gefällte Bäume vervollständigen den Eindruck des Urwüchsigen. Windung um Windung drückt uns die Strömung voran – wie sich das für einen Rückweg gehört, hilft sie uns jetzt nämlich. Vorbei geht es an Reihern, einer Armada von Libellen und farbenfrohen Faltern. Ob es nun an der bereits zurückgelegten Distanz liegt oder tatsächlich an einer Übersättigung, irgendwann frage ich mich doch genervt, wie viele Kurven da wohl noch kommen mögen. Und so bin ich recht guter Dinge, als irgendwann dann doch der Dämeritzsee als das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels in Sicht kommt. Von hier aus biegen wir nach kurzer Querung ab zurück zum KVK.
Auch wenn die Eckdaten den einen oder anderen abschrecken mögen, ist diese jährliche Tour eine sehr charmante Langstreckenfahrt. Und hetzen tut hier keiner. Wo wir schon mal in der Gegend waren, haben wir am Sonntag die Gelegenheit für die „Große Umfahrt“ rund um die Müggelberge genutzt. Eine weitere herrliche Tour in südost-Berliner Gewässern.