Die Windvorhersagen stabilisieren sich im Laufe der Woche auf gute fünf Windstärken. Das ist mehr als wir uns für unsere erste Tour auf die Nordsee gewünscht hatten. Und dann kommt dieser Wind auch noch vom Festland, sodass wir uns nicht mal große Hoffnung auf ordentliche Brandung machen können. Trotzdem werden die Trockenanzüge ausgemottet und es geht euphorisch, aber auch respektvoll Richtung Nordsee.
Tag 1 – Nasses Willkommen
Manchmal muss man sich schon fragen, ob die skeptische Bekanntschaft nicht doch Recht hat. Lufttemperatur 15 Grad, Wassertemperatur knapp darunter, das Ganze bei Wind und Welle in einem kleinen Boot auf der Nordsee? Das normale Verständnis von Erholung sieht anders aus. Wir wassern jedenfalls an einem schönen Septembermorgen im Hafen von Neuharlingersiel unsere Seekajaks. Wir sind wohlpräpariert und in Begleitung von Gero, der hier um die Ecke groß geworden ist und einiges an Salzwasser-Erfahrung mitbringt.
Sofort als wir den Hafen verlassen, sehen wir auch schon unser Ziel – den Westturm auf Wangerooge, der sich schon auf diese Entfernung deutlich von der Inselkontur abhebt. Wir nutzen die Strecke für eine erste Orientierung im Wattenmeer. Gero weist immer wieder auf Orientierungspunkte, Landmarken und Grundregeln der Navigation hin. Ohne uns groß anzustrengen, schippern wir so mit einem 6er-Schnitt am Fahrwasser entlang Richtung Nordost. Eine eingestreute Kenterübung demonstriert uns denn auch, welche Kräfte hier wirken. Während Gero im Wasser treibt, werden wir vom Wind unerbittlich weiter gedrückt und kommen kaum dagegen an und zum Gekenterten zurück. Bei der Lenzung seines Bootes sehen wir Pricke um Pricke an uns vorbeiziehen. Neben diesen Partnerübungen bietet die Überfahrt auch Gelegenheit, in bewegter See die ein oder andere Technik auszuprobieren. Meine erste Nordseerolle gelingt erfreulicherweise – es sollte nicht die letzte bleiben.
Während wir am Fahrwasserrand die Ostseite von Spiekeroog passieren, stecken immer wieder neugierige Seehunde neben unseren Booten ihre Köpfe aus dem Wasser und begutachten uns und unsere Kajaks. Allerdings sind sie recht fotoscheu und bereits verschwunden, sobald die Kamera gezückt und ausgelöst ist. Auf dem Weg ins Gatt versuche ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit die von hinten kommenden Wellen zu reiten. Das heißt auf Geschwindigkeit paddeln, um im richtigen Moment den Wellenrücken unter dem Kiel zu haben. Das gibt zwar ordentlich Vortrieb, aber auf eigenes Paddeln kann ich nicht verzichten und ich verliere die Welle jeweils nach ein paar Sekunden wieder.
Das Gatt selbst ist sehr aufgewühlt. Wo es etwas flacher ist, sieht man Wellen brechen und die Gischt beeindruckend hoch spritzen. Wir paddeln zunächst direkt auf den Westturm zu, um zu sondieren, ob man am nahe gelegenen Strand anlanden kann. Die Wellen werden allerdings immer höher und durch Steine am Ufer ist die Gemengelage zu unsicher. Wir drehen daher ab und peilen den Hafen an der Südseite Wangerooges an. Die Wellen kommen jetzt von der rechten Seite und schlagen immer heftiger gegen das Boot. Irgendwann rollt ein Exemplar mit einer Höhe von einem guten Meter heran, wie ich es noch nie direkt von der Seite bekommen habe. Im Näherkommen sehe ich, wie sich auf dem Wellenkamm immer mehr Luftblasen bilden und sich das Brechen schon deutlich abzeichnet. Vorhin fühlte ich mich bei meinen Stützübungen eigentlich gut gerüstet – also auch jetzt flache Stütze rechts. Im nächsten Moment wird es nass und die Sicht sehr getrübt. Meine erste unfreiwillige Kenterung und das dann natürlich auch bei entsprechendem Wellengang. Wie sicher schon hundertmal geübt, bringe ich das Paddel in Position für die Rolle, Paddelschlag und Hüftknick sitzen. Im nächsten Moment bin ich auch schon wieder an der Luft. Damit haben sich Hallentraining und Übungen auf dem Tegeler See schließlich bezahlt gemacht. Mich bei dem Wellengang wieder ins Boot zu bringen, wäre sicher nicht so einfach gewesen – da ist eine sichere Rolle Gold wert.
Keine drei Minuten später wiederholt sich das gleiche Spiel. Auch die weitere Welle bricht in unmittelbarer Nähe, meine Stütze taugt nicht und ich liege im Wasser. Hochrollen klappt erneut unproblematisch. Meine bessere Hälfte stützt ein paar Bootslängen weiter links jede Welle problemlos und schaut immer wieder verdutzt auf die Unterseite meines Bootes. Da ich einsehe, dass meine flache Stütze nicht funktioniert, nehme ich den dritten Brecher mit der hohen Stütze und pariere damit die Kraft der Welle problemlos. Ab jetzt beginnt das Spiel mit den Wellen erst richtig Spaß zu machen. Vielleicht macht sich auch ein wenig Übermut breit. Ich will eine der großen Wellen surfen. Dass ich im schlimmsten Fall wieder hochrollen kann, habe ich mir ja schon bewiesen. Also drehe ich auf Südost und lasse die Wellen von hinten kommen. Genau wie vorhin paddle ich mich auf Geschwindigkeit und erwische direkt eine großartige Welle. Ohne selbst noch Vortrieb geben zu müssen, klebe ich auf dem Wellenbauch und das Wasser drückt mich mit seiner gewaltigen Kraft voran. Ich muss nur mit dem Heckruder die Richtung korrigieren. Mein erster richtiger Surf lässt mich einen Freudenschrei ausstoßen. Jetzt geht es noch mit gehörigem Sicherheitsabstand um die Hafenbefestigungsanlagen und dann laufen wir in den gut geschützten Hafen ein. Nach dem ersten Anlanden zeigt sich mir nochmal die Kraft der Wellen, die mich haben kentern lassen: meine Reservepaddel haben sich aus ihrer Halterung teilweise gelöst und die Schleppleine, die ich um den Bauch trug, ist ein Opfer der Fluten geworden. Die Freude über die erste großartige Nordseetour trübt das nicht im geringsten.
Tag 2 – Spaß im Nass
Der nächste Paddeltag beginnt früh und windig. Wir setzen pünktlich gegen 9:30 Uhr unsere Boote ein und paddeln Richtung Spiekeroog. Um die Buhne H in gehörigem Abstand zu umschiffen, heißt es zunächst direkt gegen den 4er-Wind aus Süd-Südwest zu paddeln. Das gibt erneut Gelegenheit, einige Steuer- und Stützmanöver einzustreuen. An der Nordwestspitze von Spiekeroog erblicken wir ziemlich schnell Brandungswellen, die wir natürlich nicht links liegen lassen können. Schließlich sind wir zur Nordsee wegen genau solcher Bedingungen gekommen.
Die erste Brandungszone, die wir ansteuern, wird offenbar durch das auflaufende Wasser an einer flachen Stelle erzeugt. Am Vorabend haben wir sie schon mit dem Fernglas von Wangerooge aus erspäht und freuen uns, dass wir auch jetzt ein wenig Brandung erproben können. Spielerisch fahren wir immer wieder in die Wellen und testen, was sie mit dem Boot machen und wir in der Brandung anstellen können. Nach einiger Zeit steuern wir noch stärkere Brandung an der Nordseite von Spiekeroog an. Ich paddle munter drauf los, bis Catharina neben mir ruft, dass wir überhaupt nicht vorwärts kommen. Ich nehme eine Tonne rechts in den Blick, die die ganze Zeit über an der gleichen Stelle bleibt – die Brandungswellen ziehen uns also tatsächlich zurück. Auch noch so kraftvolle Ausbruchsversuche bleiben zunächst ergebnislos, bis irgendwann dann der Befreiungsschlag doch bei beiden funktioniert. Von dieser kurzzeitigen Kraftanstrengung ein wenig erschöpft, steuern wir gleichwohl weiter auf die nächste Zone zu.
Hier locken deutlich höhere, brechende Wellen. Ich will vor allem die Scharte des gestrigen Tages auswetzen und begebe mich bewusst in ähnliche Situationen mit hohen, brechenden Wellen von rechts. Diesmal klappt die flache Stütze zumindest zufriedenstellend. Ich muss mir aber eingestehen, dass da noch ordentlich Luft nach oben ist. Deutlich besser klappt weiterhin die hohe Stütze, mit der ich mich wiederholt an einer Welle festmache und gefühlte Ewigkeiten zum Ufer tragen lasse. Die erfolgreichen Rollen vom Vortrag geben Sicherheit, immer wieder recht eindrucksvolle Wellen anzusteuern. Auch hier steckt ein Seehund seine Nase neugierig aus dem Wasser und beobachtet das Treiben.
Nach einer kurzen Pause queren wir nördlich der Buhne H zurück nach Wangerooge. Wind und Wellen drücken uns in Richtung Land und damit auf die Buhnen zu. An der Uferbefestigung sieht man imposante Wellen in die Höhe schlagen. Gero gibt einen fast nördlichen Kurs vor, der uns in gebührendem Abstand an der Gefahrenzone vorbeiführt. Als wir die Buhnen im Nordwesten von Wangerooge sicher umschifft haben, paddeln wir bei einigem Wellengang aber doch verhältnismäßig entspannt Richtung Osten. Schon recht früh am Tag hatten wir uns aus Sicherheitsgründen gegen eine Umrundung der Insel entschieden.
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So steuern wir Wangerooge Dorf für eine längere Pause an. Gero landet wie gewohnt zuerst an, was mir Gelegenheit gibt, noch ein, zwei Rollen zu probieren. Bei meiner eigenen Landung komme ich immer wieder in einen guten Surf auf den doch recht eindrucksvoll brechenden Wellen. Die Wellen kommen von schräg hinten und ich steuere mit dem Heckruder gegen. Knapp 30 Meter vor dem Land unterschneide ich offenbar und die Welle schmeißt mich ins Wasser. So langsam habe ich Übung mit solchen Situationen. Das Paddel ist durch das Heckruder schon in der richtigen Haltung, schnell zur Rolle angesetzt und schon bin ich wieder oben und keine zwei Sekunden später auf der nächsten Welle. So bekommen die Wangerooger Nachsaisonler etwas Action für ihre Kurtaxe geboten. Seekajakfahren ist großartig!
Nach einer Pause mit Kaffee, Kuchen und Ausblick vom Leuchtturm schlüpfen wir wieder in die klammen Trockenanzüge und treten die Rückfahrt Richtung Westen an. Wind und Wellen haben sich zwischenzeitlich spürbar beruhigt. Trotzdem landen wir sicherheitshalber vor Buhne H an und schauen uns zunächst das Gatt aus der Ferne an. Zwischenzeitlich läuft das Wasser leicht ab, die Situation erscheint aber gut beherrschbar. Die Entscheidung für Paddeln statt Rollern fällt schnell und einstimmig. Tatsächlich ist das Umfahren der Buhne und anschließende Zurückpaddeln recht unspektakulär. Vor dem Anlanden darf natürlich das obligatorische Abschlussrollen nicht fehlen und Catharina legt bei dieser Gelegenheit ihre ersten beiden perfekten Nordseerollen hin. Nach einem spannenden und lehrreichen Tag rollern wir nun zufrieden zurück zum Westturm.
Tag 3 – Träumen bei Brot und Butter
Der dritte Tag begrüßt uns wieder mit Windstärken um die 5 aus Süd-Südwest. Dummerweise führt uns unser Kurs ebenfalls nach Süd-Südwest. Da wir auf dem Festland Unterstützung zum Holen des Autos bekommen, wählen wir als Ziel das näher gelegene Harlesiel. Das bedeutet aber immer noch knapp 11 km. Zwar hilft uns der Tidenstrom, aber der Wind ist gegen uns.
Wir sitzen pünktlich um 10:30 in den Booten und fahren noch ein kurzes Stück Richtung Hafen Wangerooge. Das führt uns an der Stelle vorbei, bei der mich der Wellengang am ersten Tag hat kentern lassen. Heute ist das Wasser ebenfalls gut in Bewegung, im Gegensatz zu zwei Tagen vorher paddlerisch aber eher einfach. Heute ist die größte Anstrengung klar das Paddeln gegen den Wind. Hier rentiert sich das Feilen an der Technik und das Training durch viele Süß- und Salzwasserkilometer. Immer wieder achte ich bewusst auf das ein oder andere Detail meines steten Grundschlags.
Das Fahren in die Sonne und das Festland im Dunst tuen ihr Übriges für eine meditative Stimmung. Solch eine großartige See-Athmosphäre bräuchte es eigentlich viel häufiger. Leider ist dies von Berlin aus aber nicht allzu häufig möglich, damit das Seekajakfahren nicht endgültig zum Motorsport wird. Wir paddeln deutlich außerhalb des Fahrwassers bis zum Leitdamm Harlesiel und lassen Fischerboote, Ausflugsdampfer und Fähren passieren. Pünktlich wie die Maurer landen wir eine Stunde vor Hochwasser in Harlesiel an.
Fazit
Auch wenn Gero immer wieder über mein Paddel gelästert hat – das Wort Zahnstocher war sehr präsent – bin ich noch nicht bereit einzusehen, dass nicht vielmehr der Paddler an den Kenterungen Schuld war. Die Inuit sind schließlich auch nicht ausgestorben und haben es sicher mit höheren Wellen zu tun. Die Erfahrung dieses Wochenendes zeigt mir aber, dass ein wichtiges Ziel für die nächste Zeit eine sichere flache Stütze sein wird. Sehr sicher bin ich mir zudem, dass ich unter Seebedingungen mit meinem Europaddel nicht so zuverlässig hochgerollt wäre.
Zu danken ist Gero für seine besonnene und instruktive Führung dieser Tour. Dank wirklich großartiger Vorbereitung und Umsetzung haben wir unsere erste Nordseefahrt sehr erfolgreich gemeistert. Die ständige Sicherheit, dass Gero die Situation im Blick hatte, gab uns viel Gelegenheit, die eigenen Fähigkeiten zu testen und daran zu feilen. Diese drei Tage haben uns viel Lust auf Meer gemacht. Insbesondere in der Brandung hätte ich den ganzen Tag verbringen können – zumindest von der Lust her. Und der Muskelkater in den Bauchmuskeln gibt das gute Gefühl, dass die Fahrt neben einem gehörigen Lerneffekt auch noch Trainingsaspekte hatte.
Gero meinte irgendwann: „Wegen solcher Fahrten fährt man immer wieder zum HKC und zurück“ – Recht hat er.
Nachklapp: Gero hat die Tour auf seinem Blog zirpelspinner.me ebenfalls geschildert.