Olympiasieger-Besieger – 1000Seen-Marathon 2014

Als großartige Veranstaltung zum Saisonabschluss hat sich in diesem Jahr wieder der 1000Seen-Marathon herausgestellt. Dieses Mal entscheide ich mich, auf der Marathondistanz anzutreten. Ein nur mäßig trainierter Sitzmuskel und die Eindrücke von der Langdistanz vor zwei Jahren lassen mich vor größeren Anstrengungen zurückschrecken. Die Wetterprognose geht auch in diesem Jahr von regnerischem Wetter aus – soll damit aber (wie in diesem Sommer häufiger) ziemlich daneben liegen. Meine Ansprüche schraube ich nicht allzu hoch. Auf dem Weg zur Diemitzer Schleuse und dem Start des Marathons erspähe ich einen schönen Holzkanadier. Zumindest vor dem möchte ich im Ziel sein. Der zweite Blick weist mich in meine Schranken, erkenne ich doch den Steuermann. Der heißt Andreas Dittmer und ist mehrfacher Weltmeister und Olympiasieger im Kanadier. Hmmm….

Ging es bei unserem Start vor zwei Jahren auf der Langstrecke sehr ruhig ab, ist das Startfeld heute deutlich größer und es wird ganz schön wellig. Ich freue mich, dass ich den Gedanken, mit einem deutlich flotteren Touringboot anzutreten, weggewischt habe. Während ich sicher im Seekajak sitze, kentert ein gutes Stück neben mir bereits ein Streamliner, dem sofort geholfen wird. Klasse! Auch im Kanal zum Vilzsee ist es voll und kabbelig. Ich paddle meine Geschwindigkeit, die nicht unbedingt hoch ist – ich will mich nicht gleich völlig verausgaben. Das Umtragen an der Fleether Mühle klappt dank freundlicher Unterstützung wunderbar und ich verliere wenig Zeit. Ich komme mit einigen Paddlern in lockere Gespräche. Von hinten kommt irgendwann der Kanadier mit Dittmer vorbei. Renntempo fährt der nicht. Dranbleiben kann ich aber momentan auch nicht. Schade.

Geht es also noch entspannter weiter. Ich lasse den ein oder anderen Zweier passieren und ermahne mich, dieses Mal auch die herrliche Natur zu genießen. Auch die Umtragung in Wustrow klappt wunderbar. Auf dem Plätlinsee ist das Feld vor mir wieder besser einzusehen – so weit hinten bin ich ja gar nicht. Vor allem erspähe ich ein rotes Shirt, das ziemlich hoch sitzt. Ich beschließe also, bis zur Schwaanhavel Boden gut zu machen. Schwaanhavel… da war doch was. Kurz: die flache und enge Schwaanhavel bremst natürlich wieder aus.

Ich komme in diesem Jahr aber erstaunlich gut durch und bin am Ausgang recht dicht an einer langgezogenen Gruppe und einem schönen Holzkanadier. Als ich zu diesem aufschließe, macht er gerade an der Fischräucherei am Drewensee fest. Ich höre noch, wie sich die Kanadierfahrer zurufen: „Oh Mist. Jetzt sind wir überholt worden.“ Oh ja – und den Sieg fahre ich jetzt nach Hause! Seit der Schwaanhavel läuft es überraschend gut. Kein Einbruch wie im letzten Jahr. So überhole ich einige weitere Mitpaddler. Ein Kajakfahrer mit Wingpaddel fragt interessiert, was das für ein Paddel sei, das ich da fahre und ob man damit tatsächlich vorwärts kommt. Nach einer kurzen Erläuterung lasse ich Taten sprechen und bin weg.

Ich lege mich auf eine Null-Stop-Strategie fest, schiebe mir Banane Nummer drei sowie Snickers Nummer zwei rein und nehme die nächste Gruppe auf’s Korn. Zweimal heißt es noch an Schleusen umzutragen und ein paar Kilometer abzureißen. Konstant treibe ich mein Kajak voran, kein Einbruch, ich wittere den Sieg. Nach der Canower Schleuse schaue ich mich hin und wieder um. Mit etwas Abstand paddeln da ein paar Kajaks – kein Kanadier. Beschwingt biege ich daher um die Ecke und das Zielfloß kommt in Sicht. Ich lege nochmal ein wenig drauf und ziehe beherzt am Stock. Das war’s. 5:43. Olympiasieger-Besieger!

Hiddensee-Marathon 2014 – Pleiten, Pech und Pannen

Wenn ich zur Zeit bei etwas im Training bin, dann ist es frühes Aufstehen. Der 4:00-Uhr-Wecker am Samstagmorgen zaubert mir also nur ein müdes Lächeln ins Gesicht. Das mit dem Paddeln ist da schon herausfordernder. Wegen anderer Prioritäten habe ich keine 300 km an Vorbereitung im Boot vorzuweisen. Im Vorjahr waren es fast dreimal so viel. Zwar habe ich mich mit ein wenig Krafttraining zu Hause und der ein oder anderen 45-Minuten-Einheit auf dem Ergometer fit gehalten. Aber, dass mir Bootskilometer fehlen, ist mir trotzdem klar. Zwei längere Touren in den letzten vier Wochen geben mir aber die Zuversicht, dass ich zumindest die Distanz von 70 km innerhalb der Zeitvorgaben durchhalten werde. Viel mehr habe ich mir daher auch nicht zum Ziel gesetzt – auch wenn ich natürlich auf eine etwas bessere Zeit als bei den ziemlich widrigen Bedingungen vom Hiddensee-Marathon 2013 schiele.

Nach dem Startschuss befinde ich mich in meinem natürlichen Habitat – ziemlich weit hinten. Die hintere Gruppe ist in diesem Jahr aber etwas größer. Auch insgesamt habe ich das Gefühl, dass sich das Feld nicht so schnell auseinanderzieht. Gleich zu Anfang gibt es eine schöne Überraschung: wir starten mit Rückenwind. Sobald aber die Seeseite von Hiddensee zu befahren ist, heißt das für mich ebenso wieder, dass das Skegboot häufig ausschlägt. Soweit, so bekannt – leider. Trotzdem geht es in diesem Jahr flotter voran auf die Nordspitze.

Dort macht sich so langsam Erschöpfung bei mir breit, sodass die obligatorische Pause beim „Toten Kerl“ sehr gelegen kommt. Nach einer kurzen Rast gehe ich halbwegs regeneriert die zweite Hälfte an. Ab jetzt gibt es Wind von schräg vorn. Ich fahre daher mein Skeg aus. Möchte ich zumindest… das Skeg hat sich offenbar beim Anlanden verklemmt. Und auch ohne dass ich großen Druck ausüben würde, löst sich sofort der Schieber vom Zugseil und das Skeg ist nicht mehr einsatzfähig. Soweit, so bekannt – leider. Werkzeug habe ich dabei. Das letzte Mal auf Elba hat mich diese Reparatur unterwegs aber ein bis zwei Stunden gekostet. Das ist heute nicht drin. Also beschließe ich die 35 km ohne funktionstüchtiges Skeg weiterzufahren. Laut Prognose soll der Wind ja nicht allzu stark sein. Das geht die ersten Kilometer auch ohne größere Korrekturorgien gut. Irgendwann lässt der Wind sogar fast ganz nach.

Leider gibt es trotzdem ganz nette Dünungswellen aus Richtung Hiddensee. Und die machen mich irre! Keine drei Schläge kann ich jetzt machen, ohne dass sich mein Boot zu den Wellen drehen will und ich ein bis zwei Korrekturschläge einbauen muss. Ich freue mich daher schon ziemlich, dass ich das letzte Meldeboot innerhalb der Zeitvorgaben erreiche. Ab jetzt sinken die Ansprüche immer rapider: nur noch schaffen heißt die Devise. Nicht die besten Ausgangsbedingungen für noch gut 15 km. Die ständig notwendigen Korrekturen lassen mich verspannen, sodass ich immer wieder Pausen einlege, um mich im Boot zu strecken. Offenbar übe ich bei der letzten dieser Streckübungen zu viel Druck auf meinen Rückengurt aus, der nun aus der Verankerung reißt. Soweit, so bekannt – leider. Meine von „Das ist jetzt nicht wahr!“ eingeleiteten Flüche hört zum Glück nur der wieder leicht aufgefrischte Wind. Jetzt heißt es: „Trotz alledem!“ Ich will aus eigener Kraft in Stralsund einlaufen, obwohl hinter mir schon drei Begleitboote recht verlockend vor sich hin tuckern.

Auf dem Festland und Rügen zieht jetzt zu allem Glück noch ein Gewitter auf. Immer schneller zieht es zu, Blitze zucken und Donner grollt. Die eben noch sichtbaren Kirchtürme von Stralsund verschwinden wieder im Dunst. Als mich die ersten Tropfen erreichen, wächst auch die Gewissheit, dass das mit der Weiterfahrt wohl eng wird. Kaum habe ich das realisiert, kommt mir auch ein weiteres Begleitboot entgegen. Im Schlepp hat es die beiden Boote, die sich in der letzten halben Stunde deutlich abgesetzt haben, nachdem wir einige Zeit gleichauf gepaddelt waren. Mir wird der Rennabbruch verkündet und ich werde einem DLRG-Boot zugewiesen und von den freundlichen Begleitern an Bord genommen. Bei 61 km und knapp 90 Prozent der Strecke ist damit Feierabend. Ich erkläre meinen Taxifahrern kurz, warum ich so ein sonderbares Paddel benutze, wir sammeln noch einen weiteren Paddler ein und brausen zurück nach Stralsund.

Mit ziemlicher Sicherheit hätte ich mich ohne den Rennabbruch noch die letzten Kilometer ins Ziel gequält. Aber das Wetter hat diesmal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es war die Mühe trotzdem wert. Großer Respekt gilt vor allem den zahlreichen Begleitbooten, die demonstriert haben, dass sie und die Rennleitung vom Stralsunder Kanu-Club stets alles im Griff hatten. Mit diesem beruhigenden Gefühl fällt es leicht, sich voll und ganz auf sich selbst und die eigenen Herausforderungen zu konzentrieren. Bis zum nächsten Jahr!

Nachklapp: Die Ergebnisse sind jetzt verfügbar – mit der von den Veranstaltern „kalkulierten Zeit“ bin ich ganz zufrieden 😉

Einsitzen am Griebnitzsee

Seit drei Jahren ist die Tour die Havel hinunter, um die Wannsee-Insel herum zum Griebnitzsee und über Glienicker Brücke und Pfaueninsel zurück nach Tegel fester Bestandteil meines Paddeljahres. Bietet sich die 57 km lange und landschaftlich herrliche Strecke doch prima als Leistungs-Check und Training für spätere Langstreckentouren an. Vor allem der Sitzmuskel darf sich zum ersten Mal im Jahr beweisen. In diesem Jahr habe ich den bisher wärmsten und noch dazu ziemlich windigen Tag erwischt.

Während mir die Sonne nun acht Stunden erbarmungslos auf die Mütze brennt, überlege ich, ob das Naturgesetz, dass der Wind Kajakfahrern unabhängig von Streckenführung und angesagter Windrichtung zu 80% entgegenbläst, schon einen Namensgeber hat. Warum Mandarinenten gelb-grüne Boote besonders gern haben. Und ob jemand meinen Bildband über die nudistisch veranlagten Bootsbesitzer vom Wannsee (Arbeitstitel: „Verbrannte Ärsche“) kaufen würde. Erkennbar eine gute Möglichkeit, den Kopf mal richtig frei zu bekommen.

Das testweise mitgenommene Wingpaddel wird nach 700 Metern wieder auf’s Deck geschnallt und den Rest der Tour durch die Gegend gefahren. Schuster, bleib bei deinem Leisten! Dafür bin ich bei dem ständigen Gepuste dankbar, mich heute für ein Boot mit Steuer entschieden zu haben – und Sitzanlagen kann Lettmann auch. Der Hintern dankt.

Paddlen über lange Strecken

Dem ein oder anderen wird es aufgefallen sein: lange Strecken zu paddeln, bereitet mir zwischenzeitlich durchaus Spaß. Die Zeitschrift Adventure Kayak hat nun für ihre Webseite einen älteren Artikel ausgegraben, den ich ganz spannend finde. Weitpaddler Ray Fusco gibt darin einige konkrete Tipps, was man auf langen Paddeldistanzen beachten sollte. Seine Paradestrecke ist 113 km lang, die er in 14 Stunden bewältigt hat. Das gibt mir Gelegenheit, seine Hinweise mit meinen bisherigen Erfahrungen abzugleichen.

Energieverbrauch

Eigentlich einfache Feststellung, aber der Energieverbrauch durch das Paddeln und Nahrungsaufnahme müssen sich die Wage halten, um einen Hungerast zu vermeiden. Ray rechnet mit 100 kcal pro Seemeile (1,852 km) bei einer Geschwindigkeit von viereinhalb bis fünf Knoten (8,3 – 9,3 km/h). Das entspricht den 400 bis 500 kcal pro Stunde, die ich bisher zu Grunde gelegt habe, auch wenn meine Reisegeschwindigkeit üblicherweise ein wenig unter seinen Werten liegt. Für eine Strecke über 100 km empfiehlt er fünf proteinreiche Energieriegel, fünf Gels, zwei Sandwiches, einen Schokoriegel sowie frisches und getrocknetes Obst. Da ich auf Lebensmittel aus dem Reagenzglas gern verzichte (Analogkäse ist meine einzige Schwäche), habe ich bisher auf längeren Distanzen neben einem Berg von Bananen vor allem Müsli- und Schokoriegel an Bord gehabt und mich bemüht, zumindest einmal pro Stunde ein Teil davon zu essen. In einer kurzen Mittagspause sind Butterbrote für ein größeres Sättigungsgefühl meine erste Wahl.

Italien_717

Getränke

An Getränken empfiehlt Ray für eine Strecke um die 100 km mindestens sechs Liter an Flüssigkeit, bestehend aus drei Litern Wasser und drei Litern „energy drink“. Es gilt Elektrolyte wieder aufzufüllen. Ich bin bisher mit vier Litern bestens ausgekommen. Das mag je nach Wetter unterschiedlich sein, aber bisher habe ich eigentlich immer ordentlich wieder mitgebracht. Am Ende hat man während der Tour ja vor allem mit zwei Zielkonflikten zu kämpfen: genug Trinken ist die eine Seite der Medaille. Der Stoffwechsel nimmt aber auch während einer Paddeltour seinen Lauf und eine volle Blase paddelt nicht gern… Reines Wasser fand ich irgendwann zu dröge, sodass ich mich nach etwas mit mehr Geschmack umgeschaut habe, das auch noch ein wenig zum Elektrolythaushalt beiträgt und nicht zu süß ist. Gelandet bin ich zunächst bei naturtrübem Apfelsaft und einem guten Schuss Limettensaft, gemischt mit Wasser im Verhältnis 1:3. Zuletzt bin ich aber im Supermarkt auf eine neue Saftmischung aus Orange/Traube/Apfel/Limette gestoßen, das sich im gleichen Mischungsverhältnis zwischenzeitlich bewährt hat. Im Gegensatz zur Empfehlung von Ray transportiere ich die Getränke immer noch im CamelBak in der Rückentasche meiner Schwimmweste. Das erschwert zwar tatsächlich ein wenig die Rotation. Der Vorteil, ohne große Anstrengung während des Paddelns einen Schluck zu nehmen, wiegt das aber in meinen Augen auf.

Technik

Genau die Empfehlungen auf die Beinarbeit und den Catch zu achten, vergegenwärtige ich mir irgendwann auch wie ein Mantra. Dabei erinnere ich mich gern an die klare Ansage von Birgit Fischer, dass man beim sportlichen Paddeln eben nicht das Paddel einfach so durch’s Wasser ziehen, sondern ganz bewusst den Catch ausführen, den Druck auch spüren und dann das Paddel kraftvoll durchziehen soll. Das ganze sei ja kein Sonntagsausflug und soll eben auch anstrengen. Ebenfalls hilft mir dabei die Pulsuhr, die ich mittlerweile zumindest bei flotteren Runden trage. Mit Beinarbeit und Paddelschlägen, die was bringen, ist mein Puls nämlich automatisch mindestens auf 130. Irgendwas zwischen 140 und 150 ist mein Ziel. Sobald er unter 120 sinkt, weiß ich, dass ich es mir zu gemütlich mache und der Trott einsetzt. Dann heißt es mit ein paar bewusst kräftigen Schlägen in höherer Frequenz, den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen und wieder in den Flow zu kommen.

Sitzfleisch

Was Ray nicht erwähnt, in meinen Augen aber DEN begrenzenden Faktor für die Langstrecke darstellt, ist die Kondition des Gluteus Maximus. Während in letzter Zeit kaum mehr Arme oder Rumpf während des Paddelns spürbar ermüden oder ich später Muskelkater bekomme, kann ich schlicht irgendwann nicht mehr bequem sitzen. Über zehn Stunden im Boot zu sitzen ist dabei eine Trainingsfrage, aber auch eine Frage der Ausrüstung. Obwohl mein Sitz bereits eine leichte Polsterung hat, ist für mich eine weiteres dünnes Polster aus simpler „Baumarkt“-Isomatte unerlässlich, aber auch ausreichend.

„Vier gewinnt“ beim Hiddensee-Marathon 2013

StralsundMit einigem Respekt, aber vor allem viel Vorfreude habe ich dem Hiddensee-Marathon des Stralsunder Kanu-Club entgegengefiebert. Heute ist es nun endlich soweit. Die Nacht sind einige Schauer über die gut gefüllte Zeltwiese der Stralsunder Paddler gezogen. Pünktlich zum allgemeinen Aufstehen um vier Uhr morgens hört der Regen allerdings auf. Das geschäftige Treiben geht los und letzte Vorbereitungen werden allseitig getroffen. Insbesondere ein vernünftiges Frühstück muss als Grundlage her, auch wenn das in der frühen Morgenstunde ziemlich schwer fällt. Das war mein wichtigster Trainingsaspekt seit ich beim 1000-Seen-Marathon im letzten Oktober einen ziemlichen Hungerast hatte. Heute geht es mir vor allem um’s Ankommen aus eigener Kraft. Pünktlich um sechs Uhr ist das Teilnehmerfeld auf dem Wasser und es geht los. Über Boddengewässer und Ostsee soll es einmal um Hiddensee herum zurück zum Bootshaus in Stralsund gehen – ziemlich genau 70 Paddelkilometer. Schon die Streckenlänge macht es recht anstrengend, Wind und Wellen tuen ihr übriges. Angesagt sind für heute ideale Bedingungen mit ablandigem Wind aus Süd-Ost, der später sogar auf Nord-West drehen soll – das hieße die gesamte Zeit Rückenwind. Hieße…

HM_2013_3Ich paddle eines von zwei Booten ohne Steuer und trete als einziger mit einem Grönlandpaddel an. Das bringt den ein oder anderen fragenden Kommentar mit sich. Direkt nach dem Start zieht sich das Feld auseinander. Insbesondere die zahlreichen Zweier und Wingpaddel-Fahrer setzen sich schnell ab. Ich orientiere mich, wie nicht anders zu erwarten, am hinteren Ende. Meine GPS-Pulsuhr läuft wie gewohnt mit. Vorgenommen hatte ich mir, recht konstant zwischen 140 und 150 Herzschlägen pro Minute zu fahren. Beim Versuch mitzuhalten, steigt mein Puls aber in Spitzen bis auf 170. Eigentlich bin ich also viel zu schnell für meine Verhältnisse. Da mich vor allem, der erste Meldepunkt im Vorfeld nervös gemacht hat, will ich aber den Anschluss nicht verlieren: nach drei Stunden muss ich die Ostsee erreichen, sonst werde ich aus dem Rennen genommen und zurückgeschickt. Also geht es ein wenig überambitioniert hinter zwei Einern und einem Zweier hinterher. Gleichzeitig erleichtert das die Orientierung über Strelasund und Kubitzer Bodden am Naturschutzgebiet vorbei bis zur Südspitze von Hiddensee. Hier liegt nach ca. 16 km das erste Meldeboot, dem ich lautstark „vier“ entgegenrufe. Ich liege deutlich unter den drei Stunden und fahre weiter am Fahrwasser entlang auf die Ostsee. Um die Seeseite von Hiddensee zu passieren, sind die Windbedinungen tatsächlich ideal. Wind und Wellen schieben mehr oder weniger. Leider bricht mein Skegboot bei den Wellen von schräg hinten immer mal wieder aus und ich muss es mühsam mit Korrekturschlägen wieder auf Kurs bringen. Ein-, zweimal gelingt mir sogar ein Surf, der mich zu den mittlerweile nur noch zwei Einern immer wieder gut aufschließen lässt. Auf Höhe Kloster schippert Meldeboot Nummer zwei hin und her, was das Heranfahren ein wenig erschwert. Wieder rufe ich eine „vier“ in den Wind hinein. Um die Nordspitze herum geht zum einzig sinnvollen Pausenplatz auf der Runde. Am „Toten Kerl“ rasten bereits weitere „Männer mit dem grimmigen Blick“, unter anderem Gero. Der hatte sich anfangs recht schnell abgesetzt und sticht gerade wieder in See. Lange pausiere ich auch nicht und sitze eine Bananenlänge später wieder im Boot und steuere Meldungsboot drei an, dem ich routiniert nicht viel mehr als „vier“ zu sagen habe.

HM_2013_5Was vorhin als Rückenwind noch hilfreich oder ertragen war, bläst mir jetzt mit Windstärke vier direkt entgegen. 32 km liegen noch vor mir. Gero ist schon wieder in weiter Ferne verschwunden. Aber der Kollege im roten Skegboot, den ich eben noch bei der Pause „überholt“ habe, zieht jetzt wieder an mir vorbei. Bestens – habe ich wieder jemanden zur Orientierung. Mitzuhalten,versuche ich gar nicht erst. Die Streckenführung schlägt kurz einen Haken am Fahrwasser entlang und um Naturschutzgebiete herum. Ab jetzt geht es fast schnurgerade nach Süden. Der Wind denkt gar nicht daran, wie angekündigt zu drehen. Das heißt Knochenarbeit. Der Blick aufs GPS sorgt für Frustration. Die Geschwindigkeit sinkt auf unter fünf km/h – mit ihr meine Motivation und Laune. Immer wieder sporne ich mich an, mit höherer Frequenz am Paddel zu ziehen und meinen Puls wieder ins Soll zu treiben. Lange halte ich das jedoch nie durch, sitze ich doch recht ungemütlich im Boot und schippe immer wieder büschelweise Kraus auf’s Boot. Immer wieder ertappe ich mich dabei, anhand der noch verbleibenden Kilometer auszurechnen, wie lange ich noch im Boot sitzen werde. Aufbauen geht anders. Nachdem auch das rote Skegboot in weiter Ferne verschwunden ist, lasse ich ein Zweierkajak passieren und hänge mich an die beiden. Den letzten Meldepunkt hätten wir beinahe übersehen. Das angekündigte Segelboot hat sich zwischen seinesgleichen gut versteckt, letztendlich aber doch durch die gehisste gelbe Tonne verraten. Mit einem Bogen steuere ich auch dieses Boot an. Trotz der widrigen Umstände bleibe ich auch hier in der Sollzeit und rufe der Besatzung von Meldeboot Nummer vier die obligatorische „vier“ entgegen. Man bietet mir noch Wasser und Essen an. Mein Bananendampfer ist aber noch reichlich gefüllt und auch die zweite Trinkblase ist noch fast voll. Also geht es auf die letzten 15 km.

Hiddensee_2013

In der Ferne ist bereits die Skyline von Stralsund im Dunst zu sehen, während sich eines der Begleitboote neben mich setzt und den weiteren Weg begleitet. Jetzt gibt es immer wieder Schauer. Ich will zumindest unter 11 Stunden bleiben und vor allem nicht mehr drei Stunden im Boot sitzen. Also steigere ich mein Tempo nochmal. Irgendwann scheint der Wind doch noch ein wenig zu drehen, denn hinter dem Parower Haken ist es für die letzten fünf Kilometer fast windstill. Endlich kommt der Steg in Sichtweite. Die Wartenden beginnen, mich auf den letzten Metern anzufeuern und schließlich ertönt ein erlösendes Signalhorn, als ich die Startnummer vier über die Ziellinie paddle. Fertig mit der Welt lasse ich zwei freundliche Helfer mein Boot aus dem Wasser tragen. Erst langsam kommt Freude auf, dass ich auch die letzten 15 km durchgezogen habe und nicht der ständigen Versuchung erlegen bin, aufzugeben. Auch meinen festen Entschluss, dass das heute neben meiner ersten auch sicher meine letzte Teilnahme am Hiddensee-Marathon war, revidiere ich im Laufe des Abends und spätestens nach einer Nacht, in der ich richtig gut schlafen konnte.

HM_2013_6Den Veranstaltern gebührt ein dickes Dankeschön! Gerade bei den anspruchsvollen Bedingungen war es beruhigend, immer eines der zahlreichen Begleitboote in der Nähe zu wissen. Die Abendgestaltung bei Grillfleisch und Kaltgetränken ließ wenig zu wünschen übrig, auch wenn wegen allgemeiner Erschöpfung kaum Feierstimmung aufkam. Auf der Rückfahrt am nächsten Morgen wird Gero übrigens nach der Nummer der Tanksäule fragen, für die er die Rechnung begleichen will. „Vier“ werde ich rufen – gelernt ist gelernt…

Nachklapp: Gero hat auf zirpelspinner.me den Marathon aus seiner Sicht verbloggt. Dass er mir lediglich 1000 kcal zum Frühstück empfohlen hat, selbst aber bis zum Anschlag mit Babybrei und Baked Beans gefüllt war, hat ihm offenbar die entscheidende Viertelstunde Vorsprung beschert. Ergebnisliste und Bericht gibt es auch beim Stralsunder KC. Einen weiteren Bericht gibt es beim Hamburger RdE.

Die Letzten sind nur die langsamsten Gewinner – 1000Seen-Marathon 2012

Inuit sollen ja unzählige Wörter für Schnee haben. Auch wenn das offenbar so nicht stimmt, wird man sich ähnliches wohl irgendwann über Mecklenburger und Regen erzählen. Wir hatten am Samstag jedenfalls eine ganze Menge davon. Aus allen denkbaren Richtungen und mit verschiedensten Intensitäten. Die Nass-Kälte beim diesjährigen 1000Seen-Marathon hat dem Spaß allerdings keinen Abbruch getan.

Jeder Marathon beginnt mit dem ersten Paddelschlag

Zu neunt angereist teilt sich das Team „TKV und friends“ am Morgen des Marathons grob in zwei Gruppen: Catharina und mich hat der Ehrgeiz gepackt und wir starten auf der 62-km-Langstrecke, dem Rest reicht der Halbmarathon. Die letzten Stunden vor dem Aufstehen hat es bereits beharrlich aufs Zeltdach geprasselt. So rollern wir zu zweit kurz nach Sonnenaufgang an einem frischen Oktobermorgen und im Regen unsere Seekajaks Richtung Diemitzer Schleuse. Die Gruppe, die sich hier versammelt hat, ist recht überschaubar. Schnell wird klar: wenn wir durchhalten, sind wir in jedem Fall in den Top10! Aber bis dahin ist es noch ein gutes Stück Weg.

Nachdem die Boote alle nebeneinander aufgereiht sind, startet das Rennen pünktlich um 8:00 Uhr. Man merkt schnell die unterschiedlichen Ambitionen und Leistungsstände. Auf dem Labussee ist das Feld schon deutlich auseinandergezogen. Als wir um die nördliche Landzunge biegen, sind alle Mitpaddler außer Sicht und wir müssen uns allein zurecht finden. Schnell ist die Verbindung zum Gobenowsee gefunden. Von hinten nähert sich eines der allgegenwärtigen Boote der Wasserwacht und wir grüßen uns freundlich. Den beiden Insassen dürfte noch kälter sein als uns, die wir wenigsten Bewegung bekommen. Im Klenzsee passieren wir das erste Kontrollfloß. Das ist sehr praktisch, da wir dieses später am Tag als Wendemarke nochmal umrunden müssen und so wenigstens schon eine erste Orientierung haben.

Noch ein kurzes Stück trennt uns nun von der ersten Umtragestelle in Wustrow, die ungefähr die 10km-Marke bildet. Die mitgebrachten Bootswagen erweisen sich als überflüssig, da sowohl Wagen als auch Helfer parat stehen – noch lehnen wir die Hilfe dankend ab. Auch auf dem anschießenden Plätlinsee können wir unsere Mitpaddler in der Ferne nicht mehr erspähen. Offenbar haben sie schon einiges an Vorsprung.

Grüne Hölle Schwaanhavel

Am Ende des Plätlinsees wartet die Schwaanhavel auf uns – ein sehr idyllisches, vor sich hin mäanderndes Wassergässchen, das wir von einer Tour vor zwei Jahren schon kennen. Für einen Marathon ist diese Strecke eigentlich herzlich ungeeignet, da das Wasser extrem flach und schmal ist und zusätzlich alle Nase lang durch umgestürzte Baumstämme und Äste verstellt wird. Insbesondere im ersten Drittel habe ich mit dem flachen Wasser extrem zu kämpfen. Da mögen sich Schnellpaddler beschweren, dass sich ihr Boot festsaugt, oder ähnliches. Mein Problem ist, dass ich mein Grönlandpaddel nicht mal zu einem Drittel eingetaucht bekomme, wenn ich nicht zum Gondoliere werden will. Und für flache Schläge ist rechts und links einfach nicht genug Platz. Das heißt für mich einen guten Kilometer mit echt erbärmlichen Schlägen voranzukommen.

Eigentlich wollten wir zumindest so schnell sein, dass uns die später und mit leicht anderem Streckenverlauf gestarteten Marathon-Paddler nicht ausgerechnet hier einholen. Das funktioniert allerdings nicht, hören wir doch bald die ersten Stimmen hinter uns, die sich über die Hindernisse beklagen. Wir warten natürlich möglichst weit außen und lassen die Rennkanuten passieren. Das verschafft uns Gelegenheit, sie dabei zu beobachten, wie sie faktisch nur mit Stützen um die im Wasser hängenden Äste Slalom fahren. Die weiteren zwei Kilometer über schaue ich immer wieder auf mein GPS in der Hoffnung, dass wir bald durch sind. Dabei zeigt sich allerdings ein ähnliches Phänomen wie bei Teewasser, das nicht kocht, solange man zuschaut. Die Strecke zieht sich gefühlte Ewigkeiten, bis wir endlich die Havel erreichen. Ich bin völlig ausgelaugt, aber zumindest froh, dass ich mich jetzt wieder um einigermaßen saubere Paddelschläge bemühen kann. Nach und nach komme ich wieder in den Rhythmus – aber Catharina setzt sich immer wieder deutlich ab.

Portagen und Psychologie

Eigentlich hatten wir beim Fischer an der Holzbrücke zwischen Drewen- und Finowsee nach ca. 20 km eine Rast geplant. Wir sind uns aber beide sofort einig, dass wir die ausfallen lassen, weil jetzt keiner das Boot verlassen und Gefahr laufen möchte im Regen völlig auszukühlen. So geht es weiter auf Havel, Wangnitz-, Großem Priepert- und Ellenbogensee Richtung Schleuse Strasen. Ab jetzt überholen uns immer wieder Marathonis in Formation. Die Schleuse Strasen im Blick wird gerade eine Yacht hereingelassen. Wir gehen daher in den Spurt über, da wir geplant hatten, statt Umtragen passende Gelegenheiten zum Schleusen zu nutzen. Knapp hundert Meter vor dem Ziel schaltet der Schleusenwärter allerdings auf Rot und unsere Anstrengung war vergebens. Wir nehmen daher dankbar die Unterstützung der Helfer beim Umtragen an und legen eine kurze Pause ein.
Nach der Schleuse haben die Organisatoren für uns eine weitere psychologische Herausforderung eingebaut: wir müssen in den Großen Pälitzsee abbiegen und rund zwei Kilometer zu einer Wendemarke paddeln im ständigen Bewusstsein, dass wir die gleiche Strecke wenig später wieder zurück müssen. Einen Teilnehmer der Marathonstrecke können wir gerade noch davon abhalten, es uns gleich zu tun und weisen ihm den richtigen Weg, den wir nach einer guten halben Stunde „Umweg“ schließlich auch selbst nehmen dürfen. Da ich viel zu wenig gegessen habe, hängt mir der Magen in der Kniekehle und ich muss mich stark konzentrieren, sauber zu paddeln.
Nach Kleinem Pälitzsee und Canower See wartet die Canower Schleuse mit einer erneuten Umtragung auf uns. Jetzt legt der omnipräsente Regen nochmal eine gehörige Schippe drauf. Es kommt starker Wind auf und der Regen prasselt auf uns nieder. Der Wind kommt jetzt direkt aus West-Nordwest, unserer Fahrtrichtung. Wir paddeln mit schweren Schlägen zurück Richtung Diemitzer Schleuse, an der eine ganze Reihe weiterer psychologischer Tiefschläge auf uns warten: einer unserer Mitstarter, dessen Rückseite wir gegen 8:00 Uhr in der Ferne entschwinden haben sehen, paddelt nach seinem Zieleinlauf von dannen. Genau wie die Marathonfahrer ist er mit seinen 62 km schon durch. Von uns werden ebenfalls Zielfotos gemacht. Super Sache – aber wir müssen noch ein gutes Stück.

Keine halben Sachen

Jetzt liegt noch die Halbmarathonstrecke vor uns, die die 62 km komplettieren soll. Auf der Suche nach der Umtragestelle sehen wir links neben der Schleuse eine winkende Person in TKV-grün mit gelbem Schirm. Daniel hat hier offenbar schon eine ganze Weile gewartet, um uns jetzt beim Umtragen behilflich zu sein. Bei der sehr langen Umtragung kommt uns diese Hilfe gerade recht. Wir kündigen unsere endgültige Rückkehr für in ca. drei Stunden an – drei Stunden… es ist ja nicht so, dass wir schon sechseinhalb im Boot gesessen hätten.
Sowohl im großen Peetsch- als auch im Vilzsee halten wir uns gleich rechts und fahren nördlich auf die Umtragestelle an der Fleether Mühle zu. Wir versuchen die Motivation durch die Feststellung, dass es die letzte sein wird, aufrecht zu erhalten. Der Wind bläst weiterhin spürbar aus Nordwest. Auf dem Rätzsee finden wir wenig Schutz und müssen uns so konzentrieren, mit unseren Skeg-Booten den Kurs zu halten. Zudem zieht sich der See wie Kaugummi.
Am nördlichsten Punkt stößt ein unverhoffter Begleiter zu uns – die Sonne. Jetzt wird mir wieder bewusst, dass wir durch eine herrliche Landschaft paddeln. Anstrengung und Dauerregen hatten mich das lange ausblenden lassen. Deutlich besser gelaunt geht es jetzt wieder südlich zum Gobenowsee. In gebührendem Abstand begleiten uns zwei Boote der Wasserwacht. So langsam dürften wir die letzten auf dem Wasser sein.
Im Gobenowsee heißt es dann links zum Wendefloß, das wir bereits heute morgen zum ersten Mal passiert haben. Auf der Strecke haben wir zum ersten Mal Rückenwind. Die Freude darüber wird allerdings durch die Tatsache getrübt, dass wir den natürlich wenig später direkt von vorn zu bewältigen haben. Zudem paddeln wir jetzt in die tiefstehende Sonne und erkennen faktisch nichts, da wir nicht unsere Sonnenbrillen aus den Tagesluken herausholen wollen. Ich freue mich daher über jeden Schatten, den die Bäume hin und wieder werfen.
Zurück auf dem Gobenowsee halten wir uns links und finden trotz Sonne den Kanal zum Labussee. Von vorn kommt uns irgendwann ein Paddler entgegen. Kontur und Paddelstil kommen mir bekannt vor, das Boot nicht. Schlagartig hebt sich unsere Stimmung, als wir ein vertrautes „Aloha!“ vernehmen. Daniel hat sich in ein Testboot gesetzt und ist uns entgegengepaddelt. Auf den letzten vier Kilometern begleitet er uns. Das motiviert nochmal ungemein, sodass wir relativ beschwingt ins Ziel einlaufen, an dem sich schon der Rest der TKV-Truppe versammelt hat und uns herzlich in Empfang nimmt. Jetzt gibt es noch ein paar richtige Zielfotos, auf denen wir sicher auch ein wenig entspannter gucken. Es dürften auch die einzigen ohne Regen sein.

Biber_02

Nachklapp: Von Start und Ziel habe ich noch Fotos mit freundlicher Genehmigung des Teams von Biber-Tours eingefügt.

Nachklapp #2: Daniel hat die Halbmarathon-Distanz auf der TKV-Seite beschrieben.