Inuit sollen ja unzählige Wörter für Schnee haben. Auch wenn das offenbar so nicht stimmt, wird man sich ähnliches wohl irgendwann über Mecklenburger und Regen erzählen. Wir hatten am Samstag jedenfalls eine ganze Menge davon. Aus allen denkbaren Richtungen und mit verschiedensten Intensitäten. Die Nass-Kälte beim diesjährigen 1000Seen-Marathon hat dem Spaß allerdings keinen Abbruch getan.
Jeder Marathon beginnt mit dem ersten Paddelschlag
Zu neunt angereist teilt sich das Team „TKV und friends“ am Morgen des Marathons grob in zwei Gruppen: Catharina und mich hat der Ehrgeiz gepackt und wir starten auf der 62-km-Langstrecke, dem Rest reicht der Halbmarathon. Die letzten Stunden vor dem Aufstehen hat es bereits beharrlich aufs Zeltdach geprasselt. So rollern wir zu zweit kurz nach Sonnenaufgang an einem frischen Oktobermorgen und im Regen unsere Seekajaks Richtung Diemitzer Schleuse. Die Gruppe, die sich hier versammelt hat, ist recht überschaubar. Schnell wird klar: wenn wir durchhalten, sind wir in jedem Fall in den Top10! Aber bis dahin ist es noch ein gutes Stück Weg.
Nachdem die Boote alle nebeneinander aufgereiht sind, startet das Rennen pünktlich um 8:00 Uhr. Man merkt schnell die unterschiedlichen Ambitionen und Leistungsstände. Auf dem Labussee ist das Feld schon deutlich auseinandergezogen. Als wir um die nördliche Landzunge biegen, sind alle Mitpaddler außer Sicht und wir müssen uns allein zurecht finden. Schnell ist die Verbindung zum Gobenowsee gefunden. Von hinten nähert sich eines der allgegenwärtigen Boote der Wasserwacht und wir grüßen uns freundlich. Den beiden Insassen dürfte noch kälter sein als uns, die wir wenigsten Bewegung bekommen. Im Klenzsee passieren wir das erste Kontrollfloß. Das ist sehr praktisch, da wir dieses später am Tag als Wendemarke nochmal umrunden müssen und so wenigstens schon eine erste Orientierung haben.
Noch ein kurzes Stück trennt uns nun von der ersten Umtragestelle in Wustrow, die ungefähr die 10km-Marke bildet. Die mitgebrachten Bootswagen erweisen sich als überflüssig, da sowohl Wagen als auch Helfer parat stehen – noch lehnen wir die Hilfe dankend ab. Auch auf dem anschießenden Plätlinsee können wir unsere Mitpaddler in der Ferne nicht mehr erspähen. Offenbar haben sie schon einiges an Vorsprung.
Grüne Hölle Schwaanhavel
Am Ende des Plätlinsees wartet die Schwaanhavel auf uns – ein sehr idyllisches, vor sich hin mäanderndes Wassergässchen, das wir von einer Tour vor zwei Jahren schon kennen. Für einen Marathon ist diese Strecke eigentlich herzlich ungeeignet, da das Wasser extrem flach und schmal ist und zusätzlich alle Nase lang durch umgestürzte Baumstämme und Äste verstellt wird. Insbesondere im ersten Drittel habe ich mit dem flachen Wasser extrem zu kämpfen. Da mögen sich Schnellpaddler beschweren, dass sich ihr Boot festsaugt, oder ähnliches. Mein Problem ist, dass ich mein Grönlandpaddel nicht mal zu einem Drittel eingetaucht bekomme, wenn ich nicht zum Gondoliere werden will. Und für flache Schläge ist rechts und links einfach nicht genug Platz. Das heißt für mich einen guten Kilometer mit echt erbärmlichen Schlägen voranzukommen.
Eigentlich wollten wir zumindest so schnell sein, dass uns die später und mit leicht anderem Streckenverlauf gestarteten Marathon-Paddler nicht ausgerechnet hier einholen. Das funktioniert allerdings nicht, hören wir doch bald die ersten Stimmen hinter uns, die sich über die Hindernisse beklagen. Wir warten natürlich möglichst weit außen und lassen die Rennkanuten passieren. Das verschafft uns Gelegenheit, sie dabei zu beobachten, wie sie faktisch nur mit Stützen um die im Wasser hängenden Äste Slalom fahren. Die weiteren zwei Kilometer über schaue ich immer wieder auf mein GPS in der Hoffnung, dass wir bald durch sind. Dabei zeigt sich allerdings ein ähnliches Phänomen wie bei Teewasser, das nicht kocht, solange man zuschaut. Die Strecke zieht sich gefühlte Ewigkeiten, bis wir endlich die Havel erreichen. Ich bin völlig ausgelaugt, aber zumindest froh, dass ich mich jetzt wieder um einigermaßen saubere Paddelschläge bemühen kann. Nach und nach komme ich wieder in den Rhythmus – aber Catharina setzt sich immer wieder deutlich ab.
Portagen und Psychologie
Eigentlich hatten wir beim Fischer an der Holzbrücke zwischen Drewen- und Finowsee nach ca. 20 km eine Rast geplant. Wir sind uns aber beide sofort einig, dass wir die ausfallen lassen, weil jetzt keiner das Boot verlassen und Gefahr laufen möchte im Regen völlig auszukühlen. So geht es weiter auf Havel, Wangnitz-, Großem Priepert- und Ellenbogensee Richtung Schleuse Strasen. Ab jetzt überholen uns immer wieder Marathonis in Formation. Die Schleuse Strasen im Blick wird gerade eine Yacht hereingelassen. Wir gehen daher in den Spurt über, da wir geplant hatten, statt Umtragen passende Gelegenheiten zum Schleusen zu nutzen. Knapp hundert Meter vor dem Ziel schaltet der Schleusenwärter allerdings auf Rot und unsere Anstrengung war vergebens. Wir nehmen daher dankbar die Unterstützung der Helfer beim Umtragen an und legen eine kurze Pause ein.
Nach der Schleuse haben die Organisatoren für uns eine weitere psychologische Herausforderung eingebaut: wir müssen in den Großen Pälitzsee abbiegen und rund zwei Kilometer zu einer Wendemarke paddeln im ständigen Bewusstsein, dass wir die gleiche Strecke wenig später wieder zurück müssen. Einen Teilnehmer der Marathonstrecke können wir gerade noch davon abhalten, es uns gleich zu tun und weisen ihm den richtigen Weg, den wir nach einer guten halben Stunde „Umweg“ schließlich auch selbst nehmen dürfen. Da ich viel zu wenig gegessen habe, hängt mir der Magen in der Kniekehle und ich muss mich stark konzentrieren, sauber zu paddeln.
Nach Kleinem Pälitzsee und Canower See wartet die Canower Schleuse mit einer erneuten Umtragung auf uns. Jetzt legt der omnipräsente Regen nochmal eine gehörige Schippe drauf. Es kommt starker Wind auf und der Regen prasselt auf uns nieder. Der Wind kommt jetzt direkt aus West-Nordwest, unserer Fahrtrichtung. Wir paddeln mit schweren Schlägen zurück Richtung Diemitzer Schleuse, an der eine ganze Reihe weiterer psychologischer Tiefschläge auf uns warten: einer unserer Mitstarter, dessen Rückseite wir gegen 8:00 Uhr in der Ferne entschwinden haben sehen, paddelt nach seinem Zieleinlauf von dannen. Genau wie die Marathonfahrer ist er mit seinen 62 km schon durch. Von uns werden ebenfalls Zielfotos gemacht. Super Sache – aber wir müssen noch ein gutes Stück.
Keine halben Sachen
Jetzt liegt noch die Halbmarathonstrecke vor uns, die die 62 km komplettieren soll. Auf der Suche nach der Umtragestelle sehen wir links neben der Schleuse eine winkende Person in TKV-grün mit gelbem Schirm. Daniel hat hier offenbar schon eine ganze Weile gewartet, um uns jetzt beim Umtragen behilflich zu sein. Bei der sehr langen Umtragung kommt uns diese Hilfe gerade recht. Wir kündigen unsere endgültige Rückkehr für in ca. drei Stunden an – drei Stunden… es ist ja nicht so, dass wir schon sechseinhalb im Boot gesessen hätten.
Sowohl im großen Peetsch- als auch im Vilzsee halten wir uns gleich rechts und fahren nördlich auf die Umtragestelle an der Fleether Mühle zu. Wir versuchen die Motivation durch die Feststellung, dass es die letzte sein wird, aufrecht zu erhalten. Der Wind bläst weiterhin spürbar aus Nordwest. Auf dem Rätzsee finden wir wenig Schutz und müssen uns so konzentrieren, mit unseren Skeg-Booten den Kurs zu halten. Zudem zieht sich der See wie Kaugummi.
Am nördlichsten Punkt stößt ein unverhoffter Begleiter zu uns – die Sonne. Jetzt wird mir wieder bewusst, dass wir durch eine herrliche Landschaft paddeln. Anstrengung und Dauerregen hatten mich das lange ausblenden lassen. Deutlich besser gelaunt geht es jetzt wieder südlich zum Gobenowsee. In gebührendem Abstand begleiten uns zwei Boote der Wasserwacht. So langsam dürften wir die letzten auf dem Wasser sein.
Im Gobenowsee heißt es dann links zum Wendefloß, das wir bereits heute morgen zum ersten Mal passiert haben. Auf der Strecke haben wir zum ersten Mal Rückenwind. Die Freude darüber wird allerdings durch die Tatsache getrübt, dass wir den natürlich wenig später direkt von vorn zu bewältigen haben. Zudem paddeln wir jetzt in die tiefstehende Sonne und erkennen faktisch nichts, da wir nicht unsere Sonnenbrillen aus den Tagesluken herausholen wollen. Ich freue mich daher über jeden Schatten, den die Bäume hin und wieder werfen.
Zurück auf dem Gobenowsee halten wir uns links und finden trotz Sonne den Kanal zum Labussee. Von vorn kommt uns irgendwann ein Paddler entgegen. Kontur und Paddelstil kommen mir bekannt vor, das Boot nicht. Schlagartig hebt sich unsere Stimmung, als wir ein vertrautes „Aloha!“ vernehmen. Daniel hat sich in ein Testboot gesetzt und ist uns entgegengepaddelt. Auf den letzten vier Kilometern begleitet er uns. Das motiviert nochmal ungemein, sodass wir relativ beschwingt ins Ziel einlaufen, an dem sich schon der Rest der TKV-Truppe versammelt hat und uns herzlich in Empfang nimmt. Jetzt gibt es noch ein paar richtige Zielfotos, auf denen wir sicher auch ein wenig entspannter gucken. Es dürften auch die einzigen ohne Regen sein.
Nachklapp: Von Start und Ziel habe ich noch Fotos mit freundlicher Genehmigung des Teams von Biber-Tours eingefügt.
Nachklapp #2: Daniel hat die Halbmarathon-Distanz auf der TKV-Seite beschrieben.